Vorwort

Am 15. April 1892 wurde Theodor Schwake - später Dr. Pater Gregor OSB - in Emmerich geboren. Er wuchs dort in seinem Elternhaus , Gasthausstraße 551 3/4 auf. Nach der seltsamen Hausnummer könnte man darauf schließen, die Gasthausstraße sei sehr lang. In Wirklichkeit handelt es sich um eine eher unbedeutende, kleine Straße der Innenstadt; aber zur damaligen Zeit wurden die Häuser Emmerichs noch nicht Straßenweise, sondern insgesamt numeriert. Wurden zwischen schon vorhandene Häuser noch weitere gebaut, so behalf man sich bei der Numerierung mit Bruchzahlen.

Die seltsame Hausnummer seines Elternhauses war nicht die einzige Besonderheit im Leben dieses Mannes und könnte mich wohl kaum dazu anregen, anläßlich der 100sten Wiederkehr seines Geburtstages das aufzuschreiben, was meine Erinnerung von ihm, meinem Onkel, aufbewahrt hat und was die wenigen Dokumente, die mir vorliegen, bezeugen: Briefe, Fotos, einige Zeitungsabschnitte, viele Gedichte von P.Gregor und das Buch von Pater Lenz "Christus in Dachau" (zit.Lenz).

Es gibt bereits erste Würdigungen:

1. einen Aufsatz von Dr. Bröckerhoff in der Festschrift des Willibrordgymnasiums Emmerich zum Jubeljahr 1982 mit dem Titel: "Pater Dr. Gregor Schwake OSB, 1892-1967, Abitur 1911."

2. die Totenchronik aus Gerleve von 1967 (zit.Chronik)

3. einen Aufsatz von Hans Maria Wellen mit dem Titel: "Der Benediktinermönch Gregor Schwake, seine Bedeutung und sein Wirken in der liturgischen Choralbewegung des 20. Jahrhunderts" in den "Mitteilungen der Arbeitsgemeinschaft für rheinische Musikgeschichte e.V.", Heft 54, Dez. 1977, (zit.Wellen).

Wenn ich nun versuchen möchte, Pater Gregor nicht als den "bedeutenden Schüler unseres Gymnasiums", nicht nur als "ein Stück Gerleve" und nicht in erster Linie als "Volkschoralerzieher" darzustellen, sondern als Menschen, der seine besonderen Gaben als unverdientes Geschenk Gottes mit Freuden annahm und mit vollen Händen weiter verschenkte, so fühle ich mich dazu ermuntert von meinem Vater Bernd Schwake, seinem jüngeren Bruder.

Beim Durchstöbern von Fotos, Briefen, Notizen aus dem Nachlaß meines Vaters stieß ich auf einen Notizzettel aus dem Jahr 1968, auf welchem er von einem Besuch in Gerleve anläßlich des ersten Jahrestages des Todes von Pater Gregor, + 13. Juni 1967, berichtet, er habe ein fast zweistündiges Gespräch mit Vater Abt Pius Buddenborg gehalten. Alle Nachlaßsachen von Pater Gregor seien zunächst unter Verschluß genommen worden; der Abt habe gemeint, gelegentlich müsse eine ausführliche Biographie von Pater Gregor erstellt werden. Mein Vater fügt den Wunsch an: "Ich hoffe dann, daß diese nicht nur aus klösterlicher Sicht geschrieben wird, sondern möglichst Vieles (berichtet), was er als Mensch anderen Menschen, wo immer er war, von Jugend auf an Liebe, Freude, Aufmunterung, Licht und Sonnenschein gegeben hat." Ich möchte versuchen, diesen Wunsch meines Vaters zu erfüllen.

Hildegard Pickers, Emmerich, im Januar 1992
 
 
 
 

Kapitel I:

Vom Vater hab' ich die Statur,

des Lebens ernstes Führen,

vom Mütterchen die Frohnatur

und Lust zu fabulieren.

(Goethe)

Theodor war das erste von sechs Kindern der Eheleute Gerhard Schwake und Katharina geb. Püntmann. Beide stammten aus Ennigerloh im Münsterland. Vater Gerhard machte sich in Emmerich als Zahntechniker selbständig. und verkündete das mit folgender Anzeige:

ZAHNLEIDENDEN

zeige ich hiermit ergebenst an, daß ich bei Herrn Konditor Bruckhuissen, Kaßstr. 234, erste Treppe, ein

ZAHNATELIER

eröffnet habe. Es wird mein Bestreben sein, Operationen sowie technische Arbeiten auf das gewissenhafteste auszuführen. Bei soliden Preisen bin ich geneigt, jede Garantie zu übernehmen.

Emmerich, im August 1888, G.Schwake
 
 

Vater Gerhard muß wohl in seiner Arbeit anerkannt gewesen sein, denn er bekam einen festen Vertrag mit der holländischen Bahn, wonach sich deren Angestellte und Beamte gegen einen Pauschalbetrag bei ihm behandeln lassen konnten. Die Bahnstrecke ab Bahnhof Emmerich bis zur Grenze war von der holländischen Bahn gepachtet, so daß viele holländische Bahnbeamten in Emmerich wohnten; aber auch jenseits der Grenze gab es Patienten für Gerhard Schwake. (Mein Vater konnte, nach Übernahme der Praxis, auch diesen Vertrag übernehmen. Das wurde in der Zeit der Inflation zum Glück für die ganze Familie: laut Vertrag zahlten die Holländer in Gulden und der Gulden war ja nicht dem rapiden Kaufkraftschwund der Reichsmark unterworfen.)

Gerhard Schwake war tüchtig in seinem Fach, obwohl er eine recht unkonventionelle Ausbildung hinter sich hatte: Als zweitgeborener Sohn eines großen Bauern und Brennereibesitzers hatte er kein Erbrecht. Darum hätte er sehr gerne studiert, zumal ihm das Lernen nicht schwer fiel. Eine Zeitlang durfte er die Rektoratsschule in Oelde besuchen, wo er schon fleißig Latein büffelte, weil er gerne Arzt geworden wäre. Aber als er 14 Jahre wurde und damit der Schulpflicht entwachsen war, nahm ihn sein tyrannischer und jähzorniger Vater, der nicht mit sich reden ließ, trotz guter Zeugnisse von der Schule und steckte ihn in eine Brauereilehre.

Nach der ungeliebten Lehrzeit war Gerhard froh, seinen dreijährigen Wehrdienst als Sanitäter in Metz ableisten zu können. Vom Sold kaufte er sich medizinische Lehrbücher. Sein großes Interesse an der Arbeit im Lazarett und seine Geschicklichkeit erweckten die Aufmerksamkeit seiner Vorgesetzten. Bei Operationen zogen sie ihn als Hilfskraft heran. Sein Militärarzt unterwies ihn im Sezieren und ließ ihn bald eigenständig Knochenbrüche schienen und versorgen.

Nach seiner Entlassung aus der Wehrpflicht kehrte Gerhard nach Ennigerloh zurück. Weil es dort keinen Arzt gab, holte man ihn zu Hilfe, sooft auf einem der Bauernhöfe ein Unfall passierte, und das war nicht gerade selten.

Als er Katharina Püntmann kennenlernte und sie gerne heiraten wollte, waren deren Eltern strikt dagegen. Sie wollten Katharina mit einem Lehrer verloben. Die beiderseitigen Eltern hatten untereinander schon alles arrangiert. Aber Katharina weinte Tag und Nacht. Schließlich gaben die Eltern die Einwilligung zur Heirat mit Gerhard, wenn dieser vorher "einen ordentlichen Beruf" erlernt hätte. Gerhard ging nach Berlin auf ein Privat-Institut, wo er sich zum Zahntechniker ausbilden ließ. Nach dieser Ausbildung eröffnete er sein "Zahnatelier" in Emmerich, war sehr fleißig, hatte Erfolg, konnte das Haus in der Gasthausstraße erwerben und durfte Katharina heiraten.

Die Praxis in der Gasthausstraße wurde 1892, im Geburtsjahr Theodors, so empfohlen:

[>Fotokopie der Anzeige]

Ich habe meinen Großvater Gerhard nicht mehr selbst kennengelernt, da er schon 1917 starb. Trotzdem prägte er sich meiner Erinnerung ein durch ein fast lebensgroßes Porträt - aufgenommen von dem Emmericher Fotografen Karl Hill - das im Wohnzimmer meiner Großmutter über dem Sofa hing und von mir oft mit großem Respekt betrachtet wurde, denn der Großvater wurde mir geschildert als frommer, fleißiger, bescheidener, gewissenhafter Mann, streng mit sich selbst und mit seinen Kindern, der seine Frau Katharina, über alles geliebt und verehrt habe.

[>Fotos: Porträt Gerhard Schwake, Brautpaar Schwake]

Katharina Schwake war in ihrer stillen Heiterkeit der ruhende Pol in der Familie. Meine Mutter (seine Schwiegertochter) sagte oft von ihr, sie sei die menschgewordene Güte und Geduld. In der Familie Püntmann war Katharina der Nachkömmling gewesen, das einzige Mädchen nach fünf Söhnen, sie war die Posthalterin der Ennigerloher Poststelle im Haus ihrer Eltern. Obwohl sie also für damalige Zeiten recht "emanzipiert" war, wollte ihr Bruder Heinrich seine "kleine" Schwester, nachdem sie 1890 geheiratet hatte, nicht "allein in die Fremde ziehen" lassen und folgte ihr nach Emmerich. Hier ließ er sich als Malermeister nieder, dessen besondere Kunst das Marmorieren war, eine sehr begehrte Fertigkeit in der Zeit der marmorierten Holzsäulen in barockisierten Kirchen und der marmorierten Einfassungen der Kamine in Bürgerhäusern.

Dieser Heinrich Püntmann malte als Bühnendekoration für die Fastnachtssitzung im Bürgerverein das phantastische Bild einer "Emmericher Rheinbrücke" (heute noch im Rheinmuseum zu sehen) das in den 20er Jahren für einige Aufregung sorgte da es , als Postkarte vielfach verschickt, wahrhaftig einige "alte Emmericher" aus der Ferne in die Heimat lockte, weil sie den Ulk für Realität hielten und die Brücke besichtigen wollten.

[> Fotokopie: Brücke]

Ein Vetter von Katharina Püntmann war der auch am Niederrhein nicht ganz unbekannte Dichterpriester Augustin Wibbelt, der zeitweise Pastor in Mehr am linken Niederrhein war und dessen Gedichte in münsterländischem Platt Pater Gregor später zum Teil vertonte.

Katharina Schwake dichtete nicht, aber sie konnte herrlich Geschichten aus ihrem eigenen Leben erzählen und Märchen vorlesen. Sie sprach das münsterländische Platt so schön, daß es für sie selbst und uns eine besondere Freude war, wenn sie aus den Romanen ihres Vetters "Drüke Möhne" und "Dat veerde Gebott" vorlas.

Erzählend und vorlesend saß sie wochenlang an meinem Bettchen, als ich mit etwa vier Jahren wegen einer schlimmen Augenverletzung absolut still liegenbleiben mußte. Die liebevolle Zuwendung, mit welcher sie vorlesend und erzählend bei mir aushielt, verwandelte für mich die an sich schlimme Zeit in eine Zeit, welche sich als wunderschön in mein Gedächtnis einprägte.

Lust und Begabung zum Erzählen hatte Pater Gregor von seiner Mutter geerbt. Sehr genau und eindrucksvoll berichtete er von seinen Reisen. Den größten Spaß aber bereiteten ihm Geschichtchen aus seinem Leben, mit welchen er andere auf seine Kosten belustigen konnte:

Er hatte eine außergewöhnliche Gestalt. Bei einer Körpergröße von 1,97m - zu seiner Zeit noch eine Seltenheit - hatte er besonders lange Arme und Beine, sehr große Hände und Füße. Auch Ohren, Nase und Mund waren zwar wohlgeformt, aber besonder groß. Seine ungewöhnliche Erscheinung führte bei manchen Leuten zu ungewöhnlichen Reaktionen:

Als er nach einem Besuch in Goch als junger Mönch in eisiger Morgenfrühe am Bahnhof eine Fahrkarte nach Kleve lösen wollte, wunderte er sich, daß der Schalterbeamte ihn beim Aushändigen der Fahrkarte umständlich und wie in geheimem Mitgefühl nach einem Verbrecher auszufragen suchte, der an diesem Tag hingerichtet werden sollte (es war der letzte Hingerichtete in Kleve). Da ging ihm blitzartig auf, daß der Beamte ihn - wegen der zum Schutz gegen die Kälte über den Kopf gezogenen Kapuze seiner schwarzen Benediktinerkutte - für den Scharfrichter hielt!

Ein Glanzstück seiner Lust zu fabulieren war die Geschichte, wie er in Dresden mit geliehenen Zivilkleidern, die für seine langen Arme und Beine viel zu kurz waren, also in sogenanntem "Räuberzivil" das Freibad besuchen wollte. Zwar trug er eigentlich immer, auch bei heißem Wetter, sehr korrekt seine Benediktinerkutte, doch diesmal wollte er eine Ausnahme machen. Er war nämlich ein begeisterter Schwimmer, und damals war es noch nicht üblich, daß Ordenspriester öffentliche Freibäder besuchten.

Der Bademeister aber schöpfte Verdacht. Er verweigerte Pater Gregor den Zutritt, weil er ihn für einen polizeilich gesuchten Ausbrecher hielt, der im Steckbrief als 1,95m groß beschrieben wurde. Mit spitzbübischer Freude konnte Pater Gregor von dieser Quasi - Verhaftung in den 30er Jahren erzählen, nicht ahnend, daß er eines Tages wirklich verhaftet und inhaftiert werden würde.
 
 

Kapitel II:

Us Kinner,us Kinner hät Möderken lährt

wat Biäden is, wat Biäden is, hat Moder us lährt.

Karl Schwake, der jüngere Bruder von Theodor und Bernd erzählte mir, er würde nie vergessen, wie er das Vater Unser gelernt hat, noch ehe er zur Schule kam:

Er war ganz allein mit seiner Mutter, da nahm sie ihn auf den Schoß - er lag quer über ihren Schoß denn er war groß für sein Alter. Den Kopf hatte er in ihre Armbeuge geschmiegt. So sprach sie ihm langsam Satz für Satz vor und er sprach nach: "Vater unser!..." Seither ist dieses Gebet für ihn verbunden mit Wärme, Zuwendung, Geborgenheit, Liebe.

Fast dreißig Jahre nach dem Tod seiner Mutter verfaßte Pater Gregor ein Liedchen, in welchem er ganz schlicht, fast volksliedhaft die innige Liebe und Verehrung für seine Mutter zum Ausdruck bringt.

[>Fotokopie der Handschrift]
 
 
 
 

Moder

Us Kinner, us Kinner hät Möderken lährt

wat Leiwe is, wat Leiwe is, hät Moder us lährt.

Us Kinner, us Kinner hät Möderken lährt

wat Biäden is, wat Biäden is, hat Moder us lährt.

Us Kinner, us Kinner hät Möderken lährt

gedüllig sien, gedüllig sien hät Moder us lährt.

Uns Kinder, uns Kinder hat Mütterchen gelehrt

was Liebe ist, was Liebe ist hat Mutter uns gelehrt.

Uns Kinder, uns Kinder hat Mütterchen gelehrt

was Beten ist, was Beten ist, hat Mutter uns gelehrt.

Uns Kinder, uns Kinder hat Mütterchen gelehrt

geduldig sein, geduldig sein hat Mutter uns gelehrt.
 
 
 
 

Mutter Katharina war eine einfache, bescheidene Frau, aber sie verstand es, ihren Kindern eine kostbare Gabe mit ins Leben zu geben, eine schlichte Frömmigkeit, ein tiefes, kindliches Gottvertrauen, das auch schwere Zeiten überdauerte, sodaß Pater Gregor es fertigbrachte, am 23.1.1944, vier Wochen nach seiner Einlieferung ins KZ Dachau das folgende Gedicht zu schreiben:

Empor!

Mag Gottes Hand uns führen

in Elend und in Not,

in Finsternis und Grauen,

als ob die Hölle droht:

So läßt er stets noch glänzen

ein Mond - und Sternenlicht,

daß wir nach oben wenden

der Hoffnung Angesicht.

An allen Orten und Enden

kann sein ein Jammertal,

an allen Orten und Enden

ist auch ein Himmelsstrahl.

So hebt die Herzen höher

und schaut zum Himmel auf,

zur Freude wird trotz allem

der ganze Lebenslauf!
 
 

Es ist gar nicht leicht, sich zu vergegenwärtigen, daß diese Zeilen nicht in "heiler Welt" geschrieben wurden, sondern in ganz und gar unmenschlicher Umgebung, in einer tief demütigenden Situation.

Noch ein Jahr später, nach einer schweren seelischen Krise und einer Krankheit, die ihn an den Rand des Todes brachte, vermag er am 10.1.1945 zu schreiben:

Kind

In der Taufe neu geboren

in die Kirche aufgenommen

sollst du Tag und Nacht bedenken

daß du bist ein Gotteskind.

Der die Sperlinge behütet

und die Blumen prächtig kleidet,

schenkt den Kindern alle Liebe.

Hab Vertrauen wie ein Kind!

Horche, wo sein heil´ger Wille

nach dir ruft, nach dir verlangt,

folge ihm zu deinem Heile

folg´ dem Vater wie ein Kind!

Fest und sicher darfst du bauen

daß des Vaters treue Hände

dich durch Nacht und Nebel führen:

Wandle sorglos wie ein Kind!

Daß dem Herzen gar nichts fehle

hast zur Mutter du Maria,

Christi Mutter, deine Mutter!

Lieb die Mutter wie ein Kind!
 
 
 
 

Waren "Lust zu fabulieren" und Frömmigkeit wohl von früh an in Pater Gregors Wesen grundgelegt, so wohl kaum die Geduld. Seiner Veranlagung nach war er wohl eher ein ungeduldiger Mensch, wie seine ungeheure Schaffenskraft vermuten läßt, aber das Beispiel seiner gütigen, geduldigen Mutter beeindruckte ihn tief, sodaß er sich Zeit seines Lebens um Geduld bemühte und sich so nach und nach unter Schmerzen und nach Enttäuschungen diese Kraft erwarb. Denn Mutter Schwake blieb geduldig und zufrieden, auch als sie nach zwei Schlaganfällen das Haus nicht mehr verlassen konnte. Solange sie noch ihre Hände rühren konnte, nähte oder strickte sie für bedürftige Kinder. Als auch das nicht mehr ging, saß sie klaglos in ihrem Sessel und verfolgte im Geiste täglich in ihrem Großdruck-Schott-Meßbuch die heilige Messe. Wenn sie auch noch so andächtig war, legte sie das Buch sofort zur Seite, wenn wir Enkelkinder zu ihr ins Zimmer gesprungen kamen. Dann wandte sie ihre Aufmerksamkeit uns voll zu.

[>Foto: Großmutter Schwake mit Schott-Meßbuch unter Portrait Vater Schwake]
 
 
 
 
 
 

Kapitel III:

Jetzt waren alle viere wieder da: Cellist, Bratschist und beide Violinen

Neben den Gaben Fabulierfreude, Frömmigkeit und Geduld, die ihm vor allem seine Mutter vermittelte, sorgten beide Eltern, so bescheiden sie für sich selbst waren, für eine grundsolide schulische und musische Ausbildung ihrer Kinder.

Als diese noch klein waren, bastelte die Mutter für die von Theodor "gedichteten" Theaterstücke ein Puppentheater. Für die selbstgemachten Köpfe fertigte sie Kleider aus Küchentüchern an.

Später durften alle Kinder eine höhere Schule besuchen, für welche damals noch Schulgeld entrichtet werden mußte. Alle durften ein Instrument erlernen. Theodor, als der Musik-Begeistertste unter den Geschwistern erlernte Klavier, Orgel, Geige, Cello, Gitarre, Zugposaune und Trompete. Schon früh gründete er mit seinen Geschwistern ein kleines Hausorchester.

[>Fotos]

Theodor war eines der eifrigsten Mitglieder des Schulorchesters am humanistischen Gymnasium in Emmerich, sein Bruder Karl sagt sogar: dessen Initiator, da der Musiklehrer sich hauptsächlich für den Gesangsunterricht verantwortlich gefühlt habe. In dieser Zeit gründete er auch ein Kammerorchester, das sich aus den Brüdern Theodor und Bernd und vier anderen "Jünglingen" - wie man damals sagte - zusammensetzte. Geprobt wurde im Elternhaus oder im Kolpinghaus, wo es auch an der Gestaltung von Festen mitwirkte. Das Kammerorchester bestand aus Klavier, Geige, Konzertflöte und Cello.

[>Fotos]

Das Cello liebte Theodor ganz besonders. Er gründete ein Streichquartett. Wahrscheinlich probte dieses bei gutem Wetter öfter in dem schönen Park der Boehmer-Villa an der s´Heerenbergerstraße, ein Sohn von Dr. Max Boehmer, war Klassenkamerad von Theodor und spielte Violine in dem Quartett. In der Gasthausstraße gab es nur einen etwas größeren Hofraum. In einem seiner Dachauer Gedichte erinnert sich Pater Gregor aber an heitere Stunden mit seinem Quartett im "blühend grünen" Garten "bei Rosen, Lindenbaum und Arnika":

Haydns Streichquartette:

Jetzt waren alle viere wieder da:

Cellist, Bratschist und beide Violinen.

Im Garten spielten wir, im blühend grünen

bei Rosen, Lindenbaum und Arnika.

Und jeder, der in unsre Noten sah,

las "Josef Haydn" drin, mit frohen Mienen.

Wir mühten uns beim Spielen gleich den Bienen,

was nur bei Josef Haydn so geschah.

So oft wir viere uns zusammentaten

dacht´ niemand an des Tages leer Geschwätz

weil alle sich bei Haydn glücklich fühlten.

Doch eines will ich heimlich euch verraten:

am meisten freuten uns die Menuetts.

Wie haben wir gelacht, wenn wir sie spielten.

Das war auch später noch typisch für Pater Gregor, daß er lachte, wenn ihm etwas besonders gut gefiel beim Hören oder Vorspielen, sei es auf Klavier oder Orgel oder beim Einüben des Choralgesanges: Musik war für ihn eine Quelle der Freude, nie ein Mittel der Selbstdarstellung.

Auch Blasmusik faszinierte den jungen Theodor. Als mein Bruder Heinz-Gregor 1933 auf das Emmericher Gymnasium kam gab es dort noch ein kleines Schülerblasorchester, von welchem ihm gesagt wurde, sein Onkel Theodor habe es gegründet und sei mit ihm den jeweils frischgebackenen Abiturienten, wenn sie fröhlich durch die Stadt zogen, übermütig vorangezogen, ebenso wie den kleinen, improvisierten Fastnachtszügen der Schüler, wobei er einer der Ausgelassensten war, so daß es manchen Emmericher in Verwunderung stürzte, als Theodor nach dem Abitur "ins Kloster ging".

Theodor war Mitglied des Emmericher Blasorchesters. Nachdem er sich der vielfältigen musikalischen Ausbildung in seiner Heimatstadt erinnert und dankbar an die beiden Berufsorganisten an St. Martini und an St. Aldegundis denkt, schreibt er: "Nicht zu vergessen schließlich die ausgezeichnete Blasmusik, die zwar nicht im Gotteshaus spielen durfte, aber umso eindrucksvoller bei der herrlichen Frohnleichnamsprozession mitwirkte und die Kevelaer-Prozession im singenden Wallfahrerschiff über den breiten Rhein geleitete."

Tiefen Eindruck hinterließ bei ihm der Heilige Abend in Emmerich, weil er dann mit zwei anderen Posaunisten vier Uhr nachts vom Aldegundiskirchturm aus Weihnachtschoräle blies. Ein Gedicht von Weihnachten 1944 läßt vermuten, so pervers das klingt, daß in Dachau am Heiligen Abend von einem der Wachtürme auch Choräle geblasen wurden:

Turm Musik

Viel hast´ge Schritte halten plötzlich ein,

gebeugte Häupter richten sich empor.

Von oben her berührt ein Klang das Ohr

und mischt sich seltsam in den Lärm hinein.

Es mag aus alter Zeit ein Märchen sein.

Gerührt steht heut´ der sieche Mensch davor.

Und der Choral, so mannhaft und sonor

grüßt aus der Höh´, die heilig ist und rein.

Vom hohen Turm die Instrumente glänzen

dem Golde gleich. Und die Gedanken wallen

weit, weit hinweg von kleinen Erdendingen.

Wenn einstens, an des Weltgeschehen Grenzen

von ew´gen Türmen die Posaunen schallen,

dann tagt es ! - Ew´ge Lieder wirst du singen !
 
 

Mehr noch als die Blasmusik interessierte schon den jungen Theodor der Choralgesang. Längst vor der sogenannten liturgischen Bewegung der 20er Jahre wurden in der Konviktskirche zu Emmerich - der Gymnasialkirche - schon in seiner Schulzeit - also vor 1911 - Choralämter gefeiert, wobei sich die ganze Schülergemeinde beteiligte. Pater Gregor erinnert sich: "Wir sangen nicht vielerlei Choralmessen, sondern eine, die achte, die Engelmesse..."
 
 
 
 
 
 
 
 

Kapitel IV:

Dann will ich ein Leben für Gott riskieren

ein Leben - ein Leben!

Pater Gregor erzählte meinem Bruder Heinz-Gregor: "Als Primaner machte ich einen Besuch bei dem älteren Bruder eines Klassenkameraden, bei Eduard Künecke, den wir heimlich verehrten, weil er schon seine ersten Erfolge mit Kompositionen erreicht hatte. Ich fragte ihn, wie er dazu gekommen sei, Musiker zu werden. Was glaubst du, was Eduard Künecke mir antwortete: `Ich habe gedacht, riskiere nur mal ein Leben für die Musik !´". Pater Gregor sei beim Erzählen wieder in helle Begeisterung geraten: "Stell dir vor, ein Leben! ein Leben für die Musik! - Dann will ich ein Leben für Gott riskieren - ein Leben - ein Leben !!!"

Im Gespräch mit dem Operetten - Komponisten Eduard Künecke traf Pater Gregor die Berufung zu einem Leben für Gott wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Wie dieses Leben einmal aussehen sollte, wußte er in diesem Augenblick noch nicht.

Den Weg zu seinem Leben für Gott fand er bei einer Wanderung in den letzten großen Ferien seiner Schulzeit: Mit einigen Klassenkameraden wanderte er am Rhein entlang. So wie heute fotografiert wird, hielt er alles Sehenswerte in Skizzen fest, die er während der Wanderung mit flinker Hand aufs Papier warf und abends, im Nachtquartier, genauer ausführte. - Das trug sicher dazu bei, daß sich ihm Einzelheiten dieser und späterer Reisen unverlierbar tief einprägten.

Die Rhein - Wanderung gipfelte in einem Erlebnis, das sein ganzes weiteres Leben entscheidend beeinflußte: Die Gruppe junger Wanderer machte einen Abstecher vom Rhein in die Eifel nach Maria Laach. Hier erlebte Theodor zum erstenmal den Choralgesang in einer Reinheit und Schönheit, wie man ihn so vollendet wahrscheinlich nur bei Benediktinern erleben kann.

Noch im Alter konnte Pater Gregor nur mit Tränen der Rührung und gleichzeitig lachend in überwältigender Freude davon erzählen: So viele junge Mönche sangen wie mit einer einzigen Stimme ohne daß sich auch nur einer eitel hervortat. Es war wie ein Aufbranden und Verebben menschlichen Betens zu Füßen Gottes.

Er vermag kaum in Worte zu fassen, was ihn hier so tief angerührt hat, daß es ihn nie mehr losläßt. Nach diesem Erlebnis treibt es ihn immer wieder zu dem näher gelegenen Kloster Gerleve, wo er schon bald nach dem Abitur eintritt, den Namen Gregor annimmt und nach dem Studium ganz viel Kraft und Leidenschaft dem Gregorianischem Gesang widmet. Er möchte alle Menschen teilhaben lassen an dem, was er erfahren hat. Er reist durch ganz Deutschland, durch Österreich, die Schweiz und Jugoslawien, von einer Volkschoralwoche zur anderen. Er versteht es, mit seiner Begeisterung Tausende mitzureißen, macht sich dadurch bei den Nazis verdächtig als "Volksverführer", landet schließlich 1944 im KZ Dachau und hier kleidet er, wie wohl kaum einmal zuvor in Worte, was Gregorianischer Gesang in all seiner Schlichtheit auszudrücken vermag.

Sein Dachau - Gedicht "Der Introitus vom Sonntag Sexagesima" läßt ahnen, was bei Theodor Schwake in Maria Laach begonnen hat, was ihm Antrieb zur Bewältigung eines ungeheuren Arbeitspensums gab, was ihn Dachau überstehen ließ:

Der Introitus von Sexagesima

Es singt die Kirche, unsre Mutter heute

ein Lied aus Elend, Schmerz und Todesbangen.

So fleht der Hungernde mit bleichen Wangen,

so fleht der Sterbende im blut´gen Streite:

"Steh auf, o Herr! Und Hilfe uns bereite!

Steh auf, o Herr und gib uns nicht gefangen,

daß wir umsonst im bitt´ren Streite rangen.

O, daß uns endlich Deine Huld befreite!"

Es trägt des heil´gen Gregors Melodei

das Rufen aufwärts wie mit Feuersbränden

und pocht mit lautem Ton an Gottes Zelt;

sie steigt und weckt, sie sinkt besorgt ins Knie

und beugt sich, fleht mit schwach geword´nen Händen

bis daß Erhörung sie von Gott erhält.

Theodor erlebt den Choralgesang als die Form des liturgischen Gebets. In der Liturgie, dem gemeinsamen Gebet der Kirche, so empfindet er, muß aller Zierrat abgelegt werden, alles, was nur dem Ohr schmeichelt. Mit dem Steigen und Fallen der reinen Melodie soll sich demütig, klar und einfach die Stimme des ganzen Volkes Gottes verbinden, in der Liturgie sollen sich nicht einzelne, ausgebildete Sänger profilieren. "Der Gute Hirt ... möchte uns aus mehr oder weniger ängstlicher Ich - Frömmigkeit zur vertrauensvollen, sicheren und frohen Wir - Frömmigkeit des kirchlichen gottesdienstlichen Betens führen, das seine liebenswürdigste Seite zeigt, wenn die ganze Kirche Christi die im Meßbuch vorgesehenen Gesänge gemeinsam mit Priester und Chor singt." schreibt P. Gregor.

In seiner Begeisterung für "des heil´gen Gregors Melodei" läßt Pater Gregor sich auch zu Übertreibungen hinreißen. In Dachau widmet er dem von ihm bewunderten Palaestrina einige Verse. Darin heißt es: "Dem Wust der polyphonen Spielerei, Du setztest Deine ernste Kunst entgegen ..." In der Familien - Überlieferung wird etwas beschämt gemunkelt, Pater Gregor habe als junger Mönch zusammen mit einem Kaplan der St. Aldegundiskirche Noten des Kirchenchores verbrannt, die ihm als "Wust polyphoner Spielerei" vorgekommen seien. - Ich weiß nicht, ob das stimmt, oder ob es ein Gerücht ist, das aufgrund der Unbedingtheit entstand, mit welcher sich Pater Gregor für den Gregorianischen Choral als Volkschoral einsetzte?

Als Theodor nach dem Abitur 1911 seinen Eltern mitteilte, er wolle Benediktiner - Mönch in Gerleve werden, löste das bei seiner tiefgläubigen Mutter nicht Freude, sondern Entsetzen aus: "Junge, tu uns das nicht an, Du hältst es doch keine vier Wochen im Kloster aus!" Sie, die Sanfte, Geduldige brach in Tränen aus: Musizieren, Singen, Theaterspielen, Wandern, Tanzen, vor Lebensfreude nur so Sprühen - alles das paßte in ihrer Vorstellung besser zu ihrem sinnenfrohen, lebenslustigen, oft übermütigen Theodor als klösterliche Askese!

Vielleicht dachte sie an das letzte Jahr Fastnacht: Der Vater hatte Theodor untersagt, so kurz vor dem Abitur am Maskenball im Bürgerverein teilzunehmen. Um jeder Versuchung zum Ungehorsam vorzubeugen, schloß er Theodors Schuhe ein, ehe er mit seiner Frau das Haus verließ.

Vater und Mutter Schwake saßen im Ballsaal des Bürgervereins an einem der Tischchen, die in einem Säulengang rund um die Tanzfläche standen, freuten sich an den hübschen Kostümen und an dem lustigen Trubel ringsum, - bis es Mutter Katharina ganz ungemütlich wurde, weil ein Domino hinter einer Säule hockte und unverwandt in ihre Richtung starrte. Sie flüsterte ihrem Mann zu: "Sieh doch mal den Domino! Wenn ich nicht wüßte, daß Theodor zuhause im Bett liegt, würde ich meinen, das ist er!"

Kaum hatte sie das gesagt, da richtete sich der Domino aus der Hockstellung auf und wurde langsam groß und immer größer, so groß, wie damals in Emmerich nur einer war: ihr Sohn Theodor! - Mit einem übermütigen Kichern riß er sich die Maske vom Gesicht und eilte davon: - auf Pantoffeln!

Sicherlich war es für Theodor die erste große Prüfung auf seinem Weg ins Kloster, daß sich ausgerechnet seine geliebte Mutter gegen seinen Plan sträubte. Er setzte trotzdem ruhig und geduldig, aber ganz bestimmt seinen Entschluß durch: am 8. September 1911 begann er sein Noviziat in Gerleve und legte ein Jahr später die feierlichen Gelübte ab. Im ersten halben Jahr seines Noviziats wurde ihm eine harte Probe von seinem Abt auferlegt: er durfte ein halbes Jahr lang kein Instrument anrühren!

Sein philosophisches Studium absolvierte er in Maria Laach. Bei Ausbruch des Weltkrieges kehrte er in sein Heimatkloster Gerleve zurück und setzte dort sein Theologiestudium fort.

Am 25. Juli 1917 wurde Theodor Schwake als Pater Gregor zum Priester geweiht. Ein trauriges Ereignis überschattete diesen Freudentag: vierzehn Tage vor der Priesterweihe war sein Vater ganz plötzlich an "Darmverschlingung" gestorben. Pater Gregor schrieb in sein Tagebuch: "So stellt sich Gott der Herr mit seiner ganzen unerforschlichen Weisheit, mit seinem absoluten, unbeugsamen Willen und seiner überwältigend handgreiflichen Daseinswirklichkeit als Primizgast bei mir ein."

Theodor Schwake wurde an einem Karfreitag geboren und Ostern getauft. Karfreitag und Ostern kennzeichnen die innere Spannung seines ganzen Lebens. Leid und Not werden ihm noch reichlich beschert, trotzdem bewahrt er sich bis ans Lebensende eine starke Lebensfreude, welche aus drei Quellen gespeist wird: aus dem Urvertrauen, das ihm ein liebevolles Elternhaus mitgab, aus seinem festen Glauben an Auferstehung und Ewiges Leben, aus dem kindlichen Gottvertrauen, das auch seine reifen Jahre und sein Alter prägte.

So bewegt Pater Gregors Leben auch war, so viel Leid es umschließt, Freude zieht sich von Anfang bis Ende hindurch, daher muß dem Thema Freude und Freudebereiten in seiner Biographie ein breiter Raum gewidmet sein.
 
 
 
 
 
 

Kapitel V

Sein Lebenselement wurde die Freude, Freudemachen nannte er seinen Beruf.

Zu einer einzigen Freude, zu einer Folge von Festtagen wurde jeder Besuch Pater Gregors in Emmerich für uns Kinder. Er durfte aus Gerleve kommen, so oft er Zahnschmerzen hatte. (Seine Brüder Bernd und Karl waren Zahnärzte in Emmerich und behandelten ihre Familie - zu der sie im weitesten Sinne auch die Confratres ihres Bruders in Gerleve zählten - kostenlos).

Als wir Kinder - meine Brüder Heinz-Gregor, Karl Bernd und ich - noch im Vorschul- bzw. Grundschulalter waren, klopften uns die Herzen bis zum Hals vor Freude, wenn Pater Gregor kam. Er wußte immer neue Geschichten und Späße für uns: er hob uns auf seine Schultern - für uns eine schwindelnde Höhe - und trug uns so lachend durchs ganze Haus. Manchmal machte er dabei extra lange Schritte, sodaß wir wie auf einem Kamelrücken schwankten. Er setzte uns auf den mächtigen, eichenen Herrenzimmerschrank. Wenn wir noch lachten, weil es uns gefiel, von hoch oben auf die Erwachsenen, sogar auf den großen Pater Gregor hinabzuschauen, reizte es ihn, uns ein wenig zu necken, indem er sagte: "Bleibt nur schön da oben sitzen und guckt euch die Welt an, in der Zeit kann ich in aller Ruhe mit Vater und Mutter essen!" Dabei wandte er sich um, als wolle er uns wirklich auf dem Schrank verhungern lassen. Dann wagten wir vor Schreck kaum noch zu atmen. Umso größer war unser Jubel, wenn er dann ganz schnell die Arme nach uns ausstreckte, uns vom Schrank hob, einmal herumwirbelte und uns dann auf unseren Platz vor dem Eßtisch absetzte. - Obwohl sich dieses Spielchen eigentlich bei jedem Besuch wiederholte, so lange wir klein waren, behielt es für uns seinen Reiz.

Nach dem Essen setzte Pater Gregor sich an den Flügel und forderte uns Kinder auf, uns neben ihn zu setzen. Jeder von uns mußte in einem bestimmten Rhythmus nur einen einzigen Ton anschlagen. Rund um diese drei Töne improvisierte er dann herrliche Melodienfolgen, lachte und lobte uns: "Großartig, großartig, seht ihr wohl, ihr könnt es alle!" - und wir waren glücklich und fühlten uns als Künstler. - Enttäuschend war es nur jedesmal, wenn wir nach Pater Gregors Abreise allein versuchten, dem Klavier so schöne Musik zu entlocken und dabei nichts als Geklimper herauskam.

Abends war Theater: Vater, Mutter, wir drei Kinder und vielleicht noch einige Gäste saßen im Eßzimmer, das durch eine Flügeltür vom Herrenzimmer getrennt war. Die Tür wurde auseinandergeschoben, das Herrenzimmer blieb dunkel, in der breiten Türöffnung erschien wie auf einer Bühne Pater Gregor als Zauberer, dessen sicherlich recht anspruchslose aber mit Spaß an der Freude vorgeführten Tricks wir atemlos verfolgten. Für uns war die Illusion vollkommen, auch wenn er einen Dompteur spielte. Er "dressierte" einen schwarzen Zwirnsfaden: er ließ ihn scheinbar steif werden und balancierte und jonglierte dann mit ihm - natürlich konnte man ihn vor dem dunklen Hintergrund und vor der schwarzen Kutte gar nicht sehen, aber Pater Gregor mimte so glänzend Balancieren auf der rechten Schulter, auf dem linken Ellenbogen, auf der rechten Fußspitze, auf der linken Ferse, daß wir Kinder fest davon überzeugt waren, den steifen Faden gesehen zu haben, wenn am Ende der Vorführung der "müde" und damit wieder schlaff gewordene Faden als Beweisstück herumgereicht wurde.

Genauso spannend konnte Pater Gregor das Kauen eines illusorischen Rahmbonbons und den Kampf mit dessen Klebrigkeit sowie andere Kabinettstückchen vorführen, dabei wußte man nie ganz genau, wer den größten Spaß an dem "Theater" hatte, wir Kinder oder er selbst. Wenn wir, müde von aller Freude, im Bett lagen, hörten wir bis zum Einschlafen, wie Pater Gregor für die Erwachsenen jetzt anspruchsvolle Musik auf dem Flügel spielte, oder wie er den Gesang meiner Mutter, die eine sehr schöne Stimme hatte, einfühlsam begleitete. Manchmal musizierten die beiden Brüder auch wieder zusammen wie in ihrer Jugend: Pater Gregor auf dem Klavier, Vater mit der Querflöte.

Wie wir Kinder konnte Pater Gregor sich freuen, wie wir konnte er auch noch staunen. Für ihn, der immer mit Musik umging, blieb dennoch die Erzeugung eines Tones durch die menschliche Stimme ein Wunder, das er uns wortwörtlich "begreifbar" machte: er summte einen Ton tief und immer tiefer, ließ ihn regelrecht orgeln und dabei durften wir an seiner Kehle, auf seinem Rücken, auf seinem Brustkorb, ja sogar auf seinem kahlen Schädel die Veränderungen der Vibration des Tones erfühlen.

Mein Bruder Heinz-Gregor hatte ein Erlebnis ganz anderer Art mit seinem Onkel, mit welchem er ja die Hälfte seines Namens gemeinsam hatte: bevor er in die Schule kam, durfte er mit Oma und Tante Maria nach Gerleve fahren. Während die beiden Frauen in "Ludgeri-Rast" ein Täßchen Kaffee tranken, nahm Pater Gregor seinen kleinen Neffen an die Hand und führte ihn voll Freude kreuz und quer durchs ganze Kloster, sogar ins Refektorium und in seine Zelle - und dann in den klösterlichen Bauernhof. Das war etwas für meinen Bruder! So viele Tiere! Geduldig führte Pater Gregor ihn durch alle Ställe, beantwortete all seine Fragen, hob ihn hoch, damit er die Ferkel besser sehen konnte, ließ ihn Pferde und Kühe streicheln und Bienen beobachten. Schließlich war Heinz-Gregor so begeistert, daß er beschloß, auch Benediktiner in Gerleve zu werden. Dann fielen ihm Oma und Tante Maria wieder ein und er fragte, ob die beiden und seine Mutter auch mitkommen dürften. Pater Gregor mußte ihm erklären, daß nur Männer Zutritt zum Kloster hätten und der große Garten, der Bauernhof, ja sogar der Friedhof zur Klausur gehörten. Da wurde Heinz-Gregor sehr nachdenklich. Er stellte sich vor, wenn er stürbe, dürfe ihn nicht einmal seine Mutter auf dem Friedhof besuchen. Trotz seiner großen Liebe zu Pater Gregor nahm er traurig Abstand von dem Gedanken, Benediktiner zu werden. - Wie glücklich war er, als er trotzdem anläßlich einer Volkschoralwoche in Hüthum 1930 für Pater Gregor in der St. Georgs-Kirche den Blasebalg der Orgel treten durfte. Er war also nicht in der Gunst seines vielgeliebten Onkels gesunken!

Große Freude bereitete uns Pater Gregor auch mit seinem Zeichnen. Er skizzierte alles, was wir uns wünschten: Hunde, Katzen, springende Pferde, Schiffe oder auch Episoden einer kleinen, selbsterfundenen Geschichte, in welcher wir Kinder die Hauptrollen spielten.

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Als wir größer waren, konnte uns Pater Gregor lebhaft und genau anhand seiner Skizzen von seinen Reiseeindrücken erzählen, denn er behielt seine Angewohnheit, alles, was ihn interessierte zu skizzieren und zuhause auszuzeichnen oder zu kolorieren bis an sein Lebensende bei, um es so seinem Gedächtnis tief einzuprägen. Wo er saß oder stand zeichnete er.

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Pater Gregors Begabung, Freude zu bereiten ging auch nicht in der schrecklichen Zeit seiner KZ-Haft verloren. Das zeigte vor allem sein erster Besuch in Emmerich nach dem Krieg.

Nach seiner Befreiung aus der KZ-Haft 1945 durfte sich Pater Gregor ein paar Wochen in der Schweiz erholen. Von dort kam er eines Tages ganz überraschend - ich weiß nicht mehr wie - nach Emmerich. (Es war sehr heiß, also wird es wohl im Juli `46 gewesen sein.) Es war sein erster Besuch in der Heimat nach der schlimmen Zeit. Leider waren zur gleichen Zeit auch meine Eltern zum erstenmal verreist, um Mutters Schwester in Wiesbaden wiederzusehen. So traf Pater Gregor im Häuschen an der Rheinpromenade 32, das notdürftig wieder bewohnbar gemacht war und auch schon als Praxis diente, nur meinen Bruder Heinz-Gregor und mich an.

Zu der Zeit waren sowohl mein Bruder als auch ich jungverliebt. Pater Gregor forderte Heinz-Gregor auf, seine Hannelore Schnasse zu holen, ich sollte meinen Freund Hans Pickers herbitten. Die beiden waren schnell zur Stelle.

Weil Vater verreist war, stand uns das Wartezimmer zur Verfügung, das an anderen Tagen erst nach Weggang des letzten Patienten von uns genutzt werden konnte. In diesem Warte-Wohnzimmer gab es schon einen Tisch und mehrere Stühle.

Als wir alle versammelt waren, verwandelte sich Pater Gregor wieder in einen Zauberer: während er seine Rührung und Freude nicht verbergen konnte, holte er aus den Tiefen seiner Kuttentaschen unglaubliche Schätze hervor (seine Schweizer Freunde hatten sie ihm mitgegeben). Zuerst erschien eine große Tafel Schweizer Schokolade, dann eine Kartoffel, noch eine und noch eine, bis ein ganzes Eimerchen damit gefüllt war, und zuletzt eine ganze Platte Pflanzenfett! (Damals gab es 20 g Fett pro Kopf und Woche als Zuteilung auf der Lebensmittelkarte und man mußte noch Glück haben, wenn man die wirklich bekam!) - "So Hildegard, jetzt kannst du uns einen Berg Reibekuchen backen!" - Vom Warte-Wohnzimmer gab es eine Durchreiche zur dahinterliegenden Küche mit einem alten Kohleherd.

Trotz der Sommerhitze wurde ein Feuerchen im Herd angezündet - keine leichte Aufgabe, denn es gab ja keine Kohlen, sondern nur Kohlenstaub, der zum Verbrennen leicht angefeuchtet werden mußte, aber auf keinen Fall zu naß werden durfte; eine Wissenschaft für sich! Dann wurden von Hannelore und mir Kartoffeln geschält, gerieben, mit Zwiebeln, Salz und Pfeffer gewürzt. Dabei konnten wir durch die Durchreiche am Gespräch der drei Männer teilnehmen. Zuerst backte ich die Reibekuchen aus - wir besaßen eine geschenkte Pfanne. Sobald eine Pfanne fertig war wurden die Reibekuchen auf einer geschenkten Emailleplatte ins Wartezimmer gereicht, wo Pater Gregor, Hannelore, Hans und Heinz-Gregor sie "frisch aus der Pfanne" verspeisten. Dann löste mich Hannelore beim Backen ab und ich konnte mit den Männern schmausen. Dazwischen wurde gelacht, erzählt, gelacht und wieder geschmaust. Auch das war ein Fest!

Nach dem Essen gingen wir in die erste Etage. Hier gab es einen ganz besonderen Raum: durch ein Loch in der Zimmerdecke konnte man durch das noch nicht wieder ganz gedeckte Dach gleich in den Himmel schauen. Bei schlechtem Wetter fing eine Zinkwanne mitten im Raum den Regen auf. Aber es war ja warmes Sommerwetter und so standen die sechs Fenster (drei Doppelfenster) mit Sprossenscheiben, die teils schon wieder verglast, zum größeren Teil aber mit Dachpappe versehen waren, weit auf und gaben den Blick über den Rhein, über das weite Land bis nach Kleve frei. Sichtlich bewegt blieb Pater Gregor erst einmal stehen und atmete tief durch.

Sitzen konnte man auf den breiten, niedrigen Fensterbänken und an einer Schmalseite des Zimmers auf einem gewaltigen, durchhängenden Sofa, einer Leihgabe des Bauern Roebrock aus Praest, der uns nach dem Krieg zunächst aufgenommen hatte. Auf der anderen Schmalseite des Zimmers lag ein aus den Trümmern ausgegrabener Sprungrahmen auf vier Ziegelsteinen, darauf ein Strohsack - mein Bett! Als einziges gutes Möbelstück stand der Fensterwand gegenüber ein altes schwarzes Klavier mit sehr gutem Klang, das meine Mutter sich bei der schon wieder existierenden Firma Tetsch & May gegen eine monatliche Gebühr geliehen hatte. Das war die gesamte Möblierung des großen Raumes, dessen Mitte eine weite Freifläche war. Einen Tisch gab es nicht.

Hier begann das eigentliche Fest: Pater Gregor setzte sich ans Klavier und spielte, spielte und lachte. Dann forderte er uns auf, ihm nacheinander alle Volkslieder zu nennen, die wir kannten. Wir riefen sie ihm zu, er intonierte kurz, wir sangen alle zusammen, er spielte eine Überleitung zum nächsten Lied und wir sangen wieder. Mehr als zwei Stunden dauerte unser Programm, obwohl wir kein Lied zweimal sangen. Wenn uns nichts mehr einfiel, wußte Pater Gregor bestimmt noch ein Lied. Zuletzt spielte er Tänze und wir beiden jungen Paare tanzten und waren glücklich.

Gegen Abend saßen wir still auf den Fensterbänken und sahen zu, wie nach und nach das Tageslicht zur "blauen Stunde" überwechselte, und wie dann der Mond seine silberne Brücke über das Wasser baute.

In Gedanken waren wir bestimmt alle bei der schlimmen Zeit, die hinter uns lag, bei den Lieben, die uns der Krieg entrissen hatte, bei dem Grauen, das jeder auf seine Weise überstanden hatte. Keiner wagte mit Fragen an die Wunden des anderen zu rühren. Sie waren noch zu frisch. Aber das Wieder-Zusammensein, der Blick auf die Niederrheinische Landschaft gab uns Frieden, Trost und Glück. Die Stimmung dieses Tages voller Freude, voller wortlosem Kummer und voll Dankbarkeit blieb mir unvergessen.

Die große Liebe zu seinen Eltern und Geschwistern dehnte Pater Gregor auch auf Neffen und Nichten und deren Familien aus.

Als Hannelore und Heinz-Gregor am 29. März 1951 heirateten, kam Pater Gregor, um sie zu trauen. Sein Hochzeitsgeschenk war ein wunderbares Orgelkonzert am Vorabend der Hochzeit in der St. Aldegundiskirche - nur für die Familie. Dem häuslichen Hochzeitsfest "Im Gängske" bei den Eltern Schnasse gab er den fröhlichen Rahmen. Er setzte sich an das eigens für diesen Tag gemietete Klavier und überraschte uns mit seinen ersten Liedchen in münsterländischem Platt. Für das Brautpaar sang er sie zum erstenmal vor! Erst 1952 wurden sie im Verlag Aschendorff in Münster herausgegeben. "De ersten twintig" und später "De tweden twintig Schwake-Leeder."

Zuerst präsentierte er, wie einen schönen Blumenstrauß, das Liedchen: "Ne kleine Handvull Freide":

:Ne kleine Handvull Freide

wull ick di maken met mien Leed

För mi is´t graute Freide

wenn ick di alltied glücklick weet.:

Twee Wolken an´n Muorgen

könnt swatt un düster sien

van Middag, ganz wisse

is Sunnenschien.

Twee Mensken de könnt sick

so rask en Weh andohn.

Den Kopp hang, nao buoben

mott gued wier gaohn.

Twee Augen könnt grienen

so swaor is fak dat Krüs.

De Krüswegg will upgaohn

in´t Paradies.
 
 

:Ne kleine Handvoll Freude

will ich bereiten durch mein Lied.

Für mich ist´s große Freude

wenn man dich immer glücklich sieht:

Zwei Wolken am Morgen

können schwarz und düster sein

doch mittags, das glaub´ mir

ist Sonnenschein.

Zwei Menschen die können

sich fügen zu viel Weh.

Kopf hoch, nach oben

daß gut es weitergeh´!

Zwei Augen, die weinen

so schwer ist oft das Leid.

Der Kreuzweg führt aufwärts

in himmlische Freud´!

[>Melodie]

Dann spielte Pater Gregor zum Brautwalzer auf. Schnell wurden ein paar Stühle und Tische zur Seite geschoben und während sich das Brautpaar im Walzertakt drehte, standen wir Gäste rundum, klatschten im Takt mit den Händen. Pater Gregor sang vor und wir alle sangen den Refrain:

Drüm frei di min Kind

und drei di geswind

so flink äs de Wind van dage!

Van-da-ge glänzt de Sunnenschien

van-da-ge glänzt de Welt

van-dag is alles hell un fien

in Busk un Wiesk un Feld

:Drüm frei di, min Kind

nu drei di geschwind

so flink äs de Wind vanda-ge:

Vandage bläeht de Blomen all

so giäll, so raut äs Füer,

Marienblömkes aohne Tall,

de Rausen an de Müer.

Vandage klingt de Vuegelsank

so lustig un so söt.

De Gaitling, Lewink singet Dank

iähr Kiällken wät nich möd.

Vandage bis du smuck un junk

in dine brunen Haor

Saß ümmer bliewen in den Swunk

bis in de aollen Jaohr.

Drum freu´ dich mein Kind

und dreh´ dich geschwind

so flink wie der Wind heutzutage!

Seht heute glänzt der Sonnenschein

seht heute glänzt die Welt

seht heut´ ist alles hell und fein

in Busch und Wies´ und Feld.

:Drum freu´ dich, mein Kind

und dreh´ dich geschwind

so flink wie der Wind heutzutage:

Seht heute blühn die Blumen all

so gelb, so feuerrot

Marienblümchen ohne Zahl

die Rosenblüte loht.

Ja heute klingt der Vogelsang

so lustig und so schön.

Der Amsel, Lerche Lobgesang

will nicht zu Ende geh´n.

Ja heute bist du schmuck und jung

in deinem braunen Haar

Sollst immer blühen voller Schwung

noch viele, viele Jahr!

[>Melodie]

Die Melodien waren einfach und einprägsam, sodaß wir nach der ersten Strophe gleich mitsingen konnten, vor allem bei "De Dissel". Bei diesem Liedchen sind die ersten beiden Strophen von Augustin Wibbelt, die beiden letzten von Pater Gregor:

De Dissel:

Mak doch nich so´n sur Gesicht!

Blomen staoht gewiß

auck an dinen Wäg, un wenn´t

:bloß ne aolle Dissel is.:

Si tofriäden, gaoh män still

dinen Weg fördann!

Wocht, du wäs et nao gewahr,

wat de Dissel blaihen kann.

Wenn du dann de Dissel sühs,

denk, dat is för di:

Blomenpracht un Sunnenschien!

Un din Hiätt wird froh un frie.

Laot nich hangen dinen Kopp!

Döht de Dissel nich.

Kick, se steiht so haug und stolt

Sunnento, so schön, un swigg.
 
 

Mach doch nur kein sauer Gesicht!

Blumen steh´n gewiß

auch an deinem Weg und wenn´s

:nur `ne alte Distel ist.:

Sei zufrieden, geh nur still

deinen weg fürdann!

Wart, du wirst auch noch gewahr,

wie die Distel blühen kann!

Wenn du dann die Distel siehst

denk, für dich das sei:

Blumenpracht und Sonnenschein

und dein Herz wird froh und frei!

Laß nicht hängen deinen Kopf!

Machs der Distel gleich.

Steh wie sie so hoch und stolz

sonnenzu so schön und schweig!

[>Melodie]
 
 

Ehe wir abends alle wieder auseinandergingen sang Pater Gregor zum Abschied das Liedchen "Gued gaohn!" und nach jeder Strophe sangen wir alle den Refrain mit - in der Art, wie sich Münsterländer voneinander verabschieden:

P.Gregor: "Gued gaohn!"

Alle: "Auck so!"

P.Gregor: "Bes en anner Maol!"

Alle: "Bes en anner Maol!"
 
 

Will met Rausen bestreihn dat ganze Hus

wo dat Glück mi lacht.

Datt de Dage so rask äs de Blitz vergoht

hädd ick nümmer dacht.

Häbbt all mienen Dank, de Tied was so schön

is so leiwlik west.

Nu pack ick mi gau mine Föt unnern Arm

dat is´t allerbest.

Wat singen de Viugel lustig un froh

un wi singen met.

Dat Lied is to Enn, un wie säggt us Adjüs

un et lütt so nett:

Nu daoh mi no eenmaol diene Hand

diene leive Hand

Ick denk alle Dag un bi Nacht an di,

auk in´t früemde Land.
 
 

Will mit Rosen bestreuen das ganze Haus

wo das Glück mir lacht.

Daß die Tage so rasch wie ein Blitz vergeh´n

hätt´ ich nie gedacht.

Habet all meinen Dank, denn die Zeit war schön

war so wunderschön.

Nun nehme ich schnell meine Füß´ in die Hand

muß von dannen geh´n!

Wie singen die Vögel lustig und froh

und wir singen auch.

Das Lied ist zu Ende, wir sagen Adieu

wie es hier so Brauch:

Nun gib mir noch einmal deine Hand

deine liebe Hand.

Ich denke bei Tag und bei Nacht an dich

auch im fremden Land.
 
 

[>Melodie]

Es war ein wunderschönes Hochzeitsfest! - Als wir - Hans Pickers und Hildegard Schwake - am 10. Mai 1951 heirateten, hatten wir so gehofft, Pater Gregor könne auch zu unserem Fest soviel Freude beitragen. Aber leider wurde er wenige Tage vorher für lange Zeit krank. Er hatte noch dafür gesorgt, daß wir, obwohl wir mit materiellen Gütern nicht gerade gesegnet waren, eine Hochzeitsreise machen konnten: für fünf Tage nach Gerleve, zum Bauern Segbert, wo wir auf seine Fürsprache hin liebevolle Aufnahme fanden - fast umsonst!
 
 
 
 

Kapitel VI :

Ich segne auch meine alte, liebe, arme Vaterstadt und jeden, der den ehrlichen Mut hat, aus Trümmern wieder aufzubauen

Einer von Pater Gregors Aufmunterungssprüchen bei der Volkschoralarbeit war: "Volkschoral, wie muß er sein? - Kraftvoll wie der Niederrhein!"

Obwohl beide Eltern Münsterländer waren, obwohl sein Heimatkloster Gerleve im Münsterland liegt und obwohl er deshalb das Münsterländische für seine plattdeutschen Lieder und Verse wählte, blieb er mit dem Herzen immer der Stadt verbunden, in welcher er geboren wurde, zur Schule ging und seine ersten musikalischen Eindrücke empfing, Geselligkeit erlebte und seine Streiche ausheckte. Er liebte Emmerich und den Niederrhein. Sogar die Coesfelder Allgemeine Zeitung, die ihn in einem Artikel als echten Westfalen schildert, muß dann feststellen: Die Quellen des nimmermüden Schaffens sind seine gemütstiefe und humorvolle niederrheinische Natur, eine kindliche Frömmigkeit und das Leben in der klösterlich-liturgischen Gemeinschaft.

Der Brief, den er uns zu unserer Verlobung Pfingsten 1948 schrieb, bezeugt sowohl seine herzliche Liebe zu seiner Familie als auch zu Emmerich und den Menschen, die dort leben. Er schreibt:

"Von vielen Außenarbeiten bin ich gestern abend nach Beuron zurückgekehrt, um im großen Chor der Mönche das heilige Pfingstfest mitzumachen. Infolgedessen ist es unmöglich, daß ich körperlich zugleich bei Euch sein kann.. aber gerade am fest des Heiligen Geistes muß es uns verständlicher als sonst sein, daß ich im Geiste sehr nah bei Euch sein kann... Auf meinem Tisch in der stillen Klosterzelle liegen bei vielen anderen Briefen die glückseligen Schilderungen Hildegards und Eure offizielle Verlobungsanzeige. Was unter jungen Leuten so selten ist, ist Euch als Himmelsgabe zuteil geworden: Eure gegenseitige Liebe hat Euch die langen, schweren Jahre hindurch dazu angetrieben... Geduld zu üben und mit mutigem Fleiße vorwärts zu streben. Darum bin ich am Pfingstsonntag im Geiste bei Euch und segne Euch mit meinem vollen geistlichen Segen. Segne zugleich alle, die von Schwakes und Pickers Familie zugegen sind. Ich segne auch meine alte, liebe, arme Vaterstadt und jeden, der den ehrlichen Mut hat, aus Trümmern wieder aufzubauen."

Schon vor dem Krieg war er gerne, so oft er in der Nähe zu tun hatte, oder sooft ihn die Zähne dazu "zwangen" (s.o.) nach Emmerich gekommen. Die größte Freude bereitete es ihm, mit seinem Bruder Bernd auf dem Rhein zu segeln.

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Nach dem Krieg verfolgte er mit äußerstem Interesse den allmählichen Wiederaufbau der beim Bombenangriff des 7. Oktober `44 total zerstörten Heimatstadt.

Vom Balkon des Häuschens am Rhein an der Emmericher Rheinpromenade bei Bruder Bernd und Schwägerin Hanni beobachtete er die Schiffahrt, die sich nach der Währungsreform 1948 erstaunlich schnell wieder belebte.

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Schiffe hatten ihn von jeher fasziniert. Der Name eines Schiffes, das er in seiner Jugend oft an Emmerich vorbeifahren sah, regte ihn zu dem Dachaugedicht: "Fiat Voluntas" an:

Jedwedes Schiff auf Strom und See,

seit alters rief man es mit Namen;

es barg in sich ja Leid und Weh

der Menschen, die zu Schiffe kamen.

Von allen, die ich je erblickt,

hat lebenslang mich hochentzückt

ein großer Lastkran, der am Bug

zwei Vaterunserworte trug:

Fiat Voluntas.

Das Schiff nahm leicht´ und schwere Last

und bracht´ sie zum bestimmten Hafen.

Das Schiff fuhr leer mit hohem Mast,

um neues Gut heranzuschaffen.

Ob Sand, ob Kies, ob Ziegelstein,

ob Holz und Torf es mochte sein:

beladet mich, wie ihr es wollt!

Mein Name strahlt wie helles Gold:

Fiat Voluntas.

Heut´ fuhr das Schiff auf stiller Flut,

und morgen kämpft´s mit schweren Wellen.

Heut´ lag´s in heller Sonnenglut,

dann Stürme rings und Donner gellen.

Es sah in saftig grünes Land

es kam an manchen öden Strand.

Bis daß es macht´ die letzte Fahrt

frohlockte es auf seine Art:

Fiat Voluntas!

Ganz fasziniert war Pater Gregor auch vom Bau der Emmericher Brücke. Er wußte, daß schon in seiner Kindheit die Emmericher davon träumten. Er kannte den Fastnachtsvortrag von Franz Tibus, zu welchem Heinrich Püntmann das Bühnenbild geliefert hatte (s.oben). Seine Freude, als er von Besuch zu Besuch die Fortschritte mit eigenen Augen verfolgen konnte, war riesig.

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Bei einem seiner letzten überraschenden Besuche in Emmerich, am 4. Sept. `66, neun Monate vor seinem Tod, traf er zunächst meine Eltern nicht an, Mutter machte Besorgungen, Vater war in der Praxis am Neuen Steinweg; aber die Nachbarin, Frau Holtmann, wußte zu helfen. Ein Foto, das Pater Augustin Hessing bei dieser Gelegenheit machte, zeigt, wieviel Freude und Genuß Pater Gregor auch dieser an sich unerfreulichen Situation noch abzugewinnen verstand. Er schrieb auf die Rückseite des Fotos: "Während im Innern von Rheinpromenade 34 zum Neuen Steinweg 30 mit Erfolg telefoniert wird, bringt Frau Holtmann dem alten, mit flämischem Schirmstock bewaffneten Mönch einen Stuhl zum Sitzen, was von der ganzen Holtmann-Sippe bis ins dritte Geschlecht mit Staunen beobachtet wird..."
 
 
 
 

Kapitel VII:

Der die Sperlinge behütet und die Blumen prächtig kleidet schenkt den Kindern alle Liebe...

So schreibt Pater Gregor in seinem Gedicht "Kind" von Gott-Vater.

Kinder waren für Pater Gregor eine ganz besondere Freude. In den Volkschoralwochen die für ihn mit wahrer "Herkulesarbeit" verbunden waren, nahm er sich dreimal in der Woche Zeit nur für die Kinder. Mit kleinen Späßen, Spielen und Preisverleihungen regte er sie zu fröhlicher Mitarbeit an. Wohin er auch kam flogen ihm die Herzen der Kinder zu.

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Nach dem Krieg wurde Pater Gregor eine Zeitlang mit der Führung der Pfarre Ettenkirch, Diözese Rottenburg, betraut. Er schrieb am 19.12.`45 und 9.2.`46: "Hier in Ettenkirch, von wo aus ich die ganzen Alpen sehen kann, geht es mir sehr gut. Nur habe ich viel Arbeit mit der Erteilung des Religionsunterrichtes, den ich nie im Leben gegeben habe... für die Schulkinder, für Oberklasse, für Kleine und ganz Kleine; am meisten gefällt es den Kindern und mir, wenn wir die ganze (biblische) Geschichte, z.B. die Aussetzung und Auffindung des Moseskindes im Nil dramatisch gestalten."

Seine besondere Liebe galt seinen eigenen Großneffen. Ich denke, unser erstes Kind, im März 1952 geboren, inspirierte ihn zu dem zärtlichen "Weigenleed", das er 1952 dichtete und komponierte:

Weigenleed

Slaop min Kindeken slaop!

Von´t Kloster klingt de Stunnenslag,

vörbi is wier en Guottesdag.

De Münke singt den Aobendchor,

din Moder summt di´t lies in´t Ohr:

Salve Regina, salve Regina.

Slaop min Kindeken slaop.

Slaop min Kindeken slaop!

Maria stigg von´n haugen Thron

Se will in alle Hüse gaohn,

se kümp herin met´t Jesukind.

O datt wi rächte Wade find´t.

Salve Regina, salve Regina,

slaop, min Kindeken slaop!

Slaop, min Kindeken, slaop!

Süh, alle Engelkes fleigt herbi.

Se singt met schöne Melodie.

Von´n Himmel glitt en güllenen Schien

in use Hiätt, in mien un dien.

Salve Regina

Slaop, min Kindeken, slaop!
 
 

Wiegenlied

Schlaf mein Kindelein schlaf!

Vom Kloster klingt der Stundenschlag,

vorbei ist wieder ein Gottestag.

Die Mönche sing´n den Abendchor,

die Mutter singt dir´s leis ins Ohr:

Salve Regina, salve Regina.

Schlaf, mein Kindelein schlaf.

Schlaf, mein Kindelein schlaf!

Maria steigt vom hohen Thron.

Sie bringt herein den Gottessohn

bringt jedem Haus das Jesuskind.

O daß man rechte Worte find´!

Salve Regina, salve Regina.

Schlaf, mein Kindelein schlaf.

Schlaf mein Kindelein schlaf!

Sieh alle Engel fliegen herbei,

sie singen mit schöner Melodei.

Vom Himmel gleißt ganz güld´ner Schein

in uns´re Herzen tief hinein.

Salve Regina

Schlaf, mein Kindelein schlaf!

Ich denke, die schlichte Kindlichkeit, die herzliche Wärme dieses Liedchens zeigt etwas von Pater Gregors inniger Liebe zu Kindern als Geschöpfen Gottes.

Als unser erstes Kind, Karl Bernd Pickers am 25.3.`52 geboren wurde, schrieb Pater Gregor aus Rosenberg / Wttbg, wo er gerade eine Volkschoralwoche hielt, am 28.3.`52:

Meine Lieben! Heute erhalte ich die freudvolle Nachricht von der Geburt Eures Karlbernd Maria. Ich freue mich von ganzem Herzen mit Euch! ... Ich sagte vorhin dem Herrn Lehrer und Organist ganz siegreich, daß ich zum erstenmal Großonkel geworden sei - und mein jüngerer Bruder Großvater. Ich überschütte Euch also allzumal mit meinen Glückwünschen, zuerst Mutter Hildegard und Vater Hans, dann Opa Bernd und die beiden stolzen Omas, Hanni und Maria ... Vielleicht helfen die Ruinen meiner Zähne mit, daß ich Karlbernd bald zu sehen bekomme...." Und wirklich, schon in der ersten Aprilwoche - der Kurs in Rosenberg war am 4. April beendet - bekam Pater Gregor Zahnschmerzen, die ihn "zwangen", sich nach Emmerich zu begeben, um sich von seinem Bruder Bernd einen Zahn ziehen zu lassen.

So war es auch bei den weiteren Großneffen, die ihm im Laufe der Jahre beschert wurden, noch fünf bei uns und zwei bei Hannelore und Heinz-Gregor, der das erstaunliche Phänomen so kommentierte: "Pater Gregor opfert für jedes Kind einen Zahn!"

Gerade an den Besuch Pater Gregors nach der Geburt unseres ersten Kindes denke ich sehr gerne: Ich hatte den Kleinen gestillt, da klopft es an die Tür. Ich rufe :"Herein!" Die Tür öffnet sich nur ein wenig. An ihrem oberen Rand erscheint ein schwarzer Hut, gehalten von einer auffallend großen Hand: "Pater Gregor!" - und schon steht er im Zimmer mit seinem berühmten Lachen. Wir setzen uns beide, ich halte das Kind auf dem Schoß, er berührt die Fingerchen ganz zart mit seinem Zeigefinger und sofort schließt sich das winzige Händchen ganz fest um den großen Finger. Da stürzen Pater Gregor Freudentränen aus den Augen. Er lacht und flüstert: "Deo gratias, Deo gratias!" Nachdem er sich wieder gefaßt hat, blickt er auf, lacht wieder, diesmal etwas herzhafter und sagt: "Stell dir vor, aus diesem Geschöpfchen könnte sogar einmal ein Papst werden!"

Es wurde kein Papst daraus, aber ich hoffe, ein sehr glückliches Wesen im Ewigen Leben. Bei seinem Tod am 9. Dez. 1955 zeigte sich, daß Pater Gregor nicht nur die Freude mit uns teilte. Er litt auch mit uns und fand Worte des Trostes für uns. Von ihm konnten wir sie auch annehmen, da alles, was er sagte und tat immer voll Wärme, ehrlich und spontan war. Er schrieb:

Lieber Hans, liebe Hildegard!

"Im Geist der Demut und mit zerknirschtem Herzen laß uns, o Herr, bei Dir Aufnahme finden und UNSER OPFER werde heute so vor Deinem Angesicht, daß es Dir unserem Herrn und Gott wohlgefalle. Komm Heiligmacher, allmächtiger, ewiger Gott und segne dieses OPFER, das Deinem hl. Namen bereitet ist." Von den Fesseln eines kleinen, noch nicht ausgewachsenen Körpers befreit, ist eine Seele für den Himmel geboren worden, eine Seele, der es an Größe in Nichts fehlt, die große Seele Eures lieben, kleinen Karlbernd! Und Ihr habt das Glück, daß Ihr diesem ewig glücklichen Wesen das Dasein vermitteln durftet. Wenn mir auch die Tränen fließen, ich umarme Euch Beide und wünsche Euch, erbete Euch, daß Euer gewaltiges, hochheiliges Opfer Euch Ströme von Gnade herabziehen möge.

Euer Euch liebender,

Euch segnender P.Gregor Schwake O.S.B.

Auch das Trösten-Können erwuchs Pater Gregor aus seinem Glauben. Er erwarb es vor allem in der Zeit eigenen großen Leids, in der Zeit der Konzentrationshaft in Dachau. "Ich weiß es jetzt nur zu gut aus eigener Erfahrung, daß alles gottergeben geduldete Leid einen unermeßlichen Lohn erhält." schreibt er nach seiner Befreiung aus dem KZ in einem Brief vom 19.12.`45. "Tragt auch Ihr ergeben die Opfer, die Gottes unergründlicher Ratschluß von Euch fordert, so wird sich eine wunderbare Wandlung vollziehen, alles wird in lauter Gnade verwandelt werden."
 
 
 
 

Kapitel VIII:

"Dat Weltall häs Du makt, o graute Här. Et is en Uörgelspiell, dat will Die luoben!"

Daß ein äußerst vitaler Mensch wie Pater Gregor - entgegen den Befürchtungen seiner Mutter - als Mönch wirklich glücklich wurde, hat er gewiß zum großen Teil seinem sehr einfühlsamen und verständnisvollen Abt Raphael Molitor zu verdanken. Dieser, selbst sehr musikalisch, erkannte die außerordentliche musikalische Begabung des jungen Mönches und legte großen Wert auf dessen gründliche musikalische Weiterbildung. Er ließ sie ihm erteilen durch den Coesfelder Musikbildner Schlüter, den Schweizer Professor Nather, die Kölner Meister Friedrich Wilhelm Franke und August von Othegraven und den Münsteraner Professor Fritz Vollbach.

Von Dezember 1920 bis Oktober 1923 war Pater Gregor an der Universität Münster als Student der Musikwissenschaften immatrikuliert. Während dieser Semester belegte er auch Vorlesungen des Kunsthistorikers Martin Wackernagel, des Sohnes einer bekannten Basler Gelehrtenfamilie. 1923 erwarb er den philosophischen Doktor mit seiner unter Professor Volbach geschriebenen Dissertation: `Forschungen zur Geschichte der Orgelbaukunst in Nordwestdeutschland: Orgelbaumeister Jacob Courtain´. Courtain-Orgeln - etwa um 1780 errichtet - gab es in Emmerich in der St. Martini-Kirche und in St. Aldegundis.

Zu der Ausbildung bei August von Othegraven erzählte mir Pater Gregors jüngerer Bruder Dr. Karl Schwake eine nette kleine Anekdote. Othegraven unterrichtete P.Gregor auch im Komponieren. Bei einer seiner Übungskompositionen hatte dieser, als gefühlvoller Mensch wohl des Guten zuviel getan. Othegraven schrieb als Kritik darunter: "Vergißmeinnicht mit Schlagsahne!" Pater Gregor amüsierte sich köstlich über diese Kritik an seiner mißglückten Komposition und zeigte sie lachend seinem Bruder und sicherlich auch noch anderen, denn eitel war er nicht.

Die Totenchronik schreibt: "Nach Abschluß der praktischen und theoretischen Ausbildung hat Pater Gregor jahrzehntelang als führender Organist von Gerleve sein bestes Können in den Dienst unserer liturgischen Feiern gestellt. Ja, er hat wirklich nur gedient, nie sich selbst produziert." Diese Haltung spiegeln auch seine Kompositionen für Orgel und Chor wieder. Wenn Wellen von ihnen schreibt: "Sie sind wenig originell, vielmehr zum großen Teil Gebrauchsmusik in traditionellem Kontrapunkt..." so hat er damit sicherlich recht. Den Ehrgeiz, etwas Glänzendes, Neues zu seinem eigenen Ruhm zu schaffen, einen epochalen Durchbruch in der Musik seiner Zeit zu erreichen, kannte Pater Gregor gar nicht - vielleicht brachte er dazu auch nicht die Voraussetzungen mit. Sein Schaffen hatte einen völlig anderen Akzent, wie aus einem Brief von 1958 hervorgeht, den er einer Basler Bekannten schreibt. In Gebetsform heißt es darin: "Heiliger Geist, laß mich Dein Instrument sein, Dein Werkzeug, das Du benutzt, ungezählte Menschenherzen im göttlichen Bereich glücklich zu machen! Und vergolde eben dieses Instrument, daß es einmal gut in die Pracht der Ewigen Stadt Jerusalem hineinpaßt!"

Diese Überzeugung, "nur" ein Instrument Gottes zu sein bewahrte ihn auch vor der Eitelkeit bei der Choralbegleitung. Die Totenchronik schreibt: ...er (war) für Chor und Schola eine solide und stets verläßliche Stütze. Sein Orgelspiel paßte sich der Gesamtstruktur der liturgischen Feier vortrefflich an, die Einsätze waren sicher, die Übergänge nach Zwischenspielen gelangen unbedingt pünktlich. Man darf wohl sagen, daß die Art seines Orgelspiels seiner Gesamtpersönlichkeit entsprach. Von dem kleinsten Alltagsvesper-Nachspiel bis zur großen Toccata nach dem Pontifikalamt hatte alles, was er spielte, ein festes inneres Gefüge, es hatte `Hand und Fuß ´. Sein besonderes Steckenpferd war der Kontrapunkt. P.Gregor dachte mehr in Melodien als in Harmonien. Gerade das machte sein Orgelspiel ungemein lebendig und fließend. Er liebte sehr die Dur-Tonarten und helle, klare Harmonien, wie er ja auch sonst in seinem Leben und Wirken immer Wert auf die hellen und freundlichen Aspekte legte... Während er in früheren Jahren durchaus viel Literatur spielte, bevorzugte er später mehr und mehr Improvisationen nach frei geschaffenen Themen oder nach Motiven aus dem Choral und aus Kirchenliedern. Seine Variationen zu dem Lied `Es ist ein Ros entsprungen gehörten zum festen Bestand der Heiligen Nacht ... In den letzten Jahren blieb er, der ja seine musikalische Ausbildung noch in der Zeit der Spätromantiker erhalten hatte, beweglich genug, in der Art seines Orgelspiels mit der Zeit zu gehen, wenngleich er seine Herkunft und Erziehung nie verleugnete. Einen eigentlichen Vorstoß in die Moderne hat er nicht mehr unternommen."

Wie sehr Pater Gregor das Orgelspiel liebte, erinnere ich noch aus meiner Kindheit. Er nahm uns mit in die Aldegundiskirche. Nach einem kleinen Vorspiel führte er uns nach und nach die Register vor, erst einzeln, dann im Zusammenklang. Um uns Spaß zu machen spielte er manchmal nur die Pedale und freute sich, wenn wir staunten, wie flink und sicher seine großen Füße Töne erzeugen konnten. Zum Schluß der "Vorführung" ließ er die Orgel in ihrer vollen Pracht ertönen und spielte jetzt so ernst und konzentriert, daß wir, so wenig wir noch verstanden, ganz andächtig wurden.

Wenn man in einem seiner plattdeutschen Liedchen mit dem Titel "Dankleed" liest, daß Pater Gregor das von Gott geschaffene Weltall als Orgelspiel bezeichnet, wird einem klar, was die Orgel für Pater Gregor bedeutet hat:

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"Dat Weltall häs Du makt, o graute Här. Et is en Uörgelspiell, dat will die luoben!" Das Weltall hast Du gemacht, o großer Herr. Es ist ein Orgelspiel, das will Dich loben!

Gegen Ende seines Lebens erfüllte sich Pater Gregor noch ein lang gehegter Wunsch. Die Totenchronik berichtet: "Eine stille und echte Freude war es für Pater Gregor, seine reichen Kenntnisse und Erfahrungen an unseren klösterlichen Organistennachwuchs weiterzugeben. Zumal in den letzten Lebensjahren, als er von anderen auswärtigen Aufgaben in zunehmendem Maße Abstand nehmen mußte, widmete er sich diesem schlichten Dienst in väterlicher Weise. Seit Dezember 1965, bis vier Tage vor seiner Einlieferung ins Dülmener Franz-Hospital erteilte er unserem jungen Bruder Notker regelmäßigen Orgelunterricht. P.Gregors außerordentliches pädagogisches Geschick konnte sich hier noch einmal vollauf bewähren! Seine Methode war zielbewußt und straff, aber zugleich humorvoll aufgelockert. Er konnte Bruder Notker in kurzer Zeit dazu bringen, unsere Gottesdienste an der Orgel zu begleiten, sowie mit ihm zusammen Fugen zu komponieren."
 
 
 
 

Kapitel IX:

Wem nicht zuerst das Herz aufgegangen ist, der tut auch den Mund nicht auf zum Singen

Organist in Gerleve zu sein war Pater Gregor nicht nur Pflicht, sondern Freude. Es spricht für die Klugheit des Abtes Raphael Molitor und für sein Geschick in der Menschenführung, daß er Pater Gregor trotzdem immer wieder zu "Außenarbeiten" "in die Welt" sandte. So konnte sich die ungeheure Schaffenslust des jungen Mönches voll entfalten. An Aufträgen fehlte es nicht.

Pater Gregors öffentliche Arbeiten begannen mit Orgelbauberatungen. Gleichzeitig bekam er den Auftrag, die Musik zu zwei Mysterienspielen zu schreiben, zu: "St.Viktor" von Eckert - 1924 im Amphitheater zu Birten aufgeführt und zu dem 1926 ebenfalls dort zur Aufführung gelangten Mysterienspiel "Die heilige Helena" von Aller.

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Voll entfalten konnte sich sein musikpädagogisches Talent, nachdem er mit seiner Volkschoralarbeit begann. Dazu schreibt die Totenchronik: "...Die Bestrebungen der drei Pius - Päpste, in der Liturgie dem Singen des gesamten Kirchenvolkes wieder seine ursprüngliche Bedeutung und Stellung zu verschaffen, griff er als einen persönlichen Anruf auf. Etwas 40 Jahre lang hielt er unentwegt zahllose Volkswochen für Liturgie und Kirchengesang in Pfarreien Deutschlands, Österreichs und der Schweiz."

Aufträge kamen aus dem gesamten deutschsprachigen Raum. Wellen schreibt: "1927 erhielt Schwake vom Preußischen Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung eine Einladung zur Frankfurter Tagung für Volksmusik. Sein Referat: `Kirche und Volksmusik´. 1930 hielt er eine Arbeitswoche auf der Tagung der `Internationalen Gesellschaft für Erneuerung der Kirchenmusik´. Aus Österreich traf 1933 die Einladung des `Bundes zur Pflege der Kirchenmusik in Vorarlberg´ ein. Neben Arbeitswochen in den Diözesen Würzburg, München, Augsburg, Meißen-Berlin, Dresden, Leipzig und Ermland reiste Schwake 1935 nach Rom und berichtete Papst Pius XI. vom Erfolg seiner Arbeit um die liturgische Erneuerung und Förderung des Chorals. Dabei übergab er dem Papst seine ersten Veröffentlichungen aus der praktischen Arbeit ... 1937/38 reiste Schwake nach Jugoslawien und hielt theoretische und praktische Kurse in Belgrad, im Trappistenkloster Banja Luka für Kirchenmusiker, sowie in Filipovo, Kula und Batschka Palanka ... ".

Wie Volkschoralwochen abliefen schildert die Totenchronik: Der Kursus begann jeweils Sonntagabends mit einer Eröffnungspredigt über den Sinn dieser `liturgischen Exerzitien ´ wie Pater Gregor diese Übungen gelegentlich gerne nannte. An den Abenden der Wochentage probte er mit den Erwachsenen, anschließend noch gesondert mit den Kirchenchören. Die Schulkinder nahm er dreimal die Woche eigens vor... Pater Gregor kannte in diesen Tagen keine Schonung... aber es gelang ihm im Nu, die ganze Gemeinde in den Griff zu bekommen, zu fesseln, zu begeistern und zu immer stärkerer Beteiligung aufzurütteln... Er ließ sich ein Klavier oder einen Flügel auf ein niedriges Podium im Mittelgang stellen und von da aus dirigierte er das Volk... "

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Von der 10.Messe sagt Pater Gregor: "Diese Messe kann so volksgemäß dargebracht werden, daß sie im großartigen Volksgesang ausführbar ist. Ich habe sie mit Hunderttausenden eingeübt." Wellen schreibt dazu: " Die im letzten Zitat angegebene `Erfolgszahl ´ darf nicht als Übertreibung angesehen werden, denn in der Tat waren seine Überzeugungsfähigkeit und sein gekonnt strategischer Einsatz in der Volksarbeit so wirkungsvoll, daß eine Aufrechnung von Hörerzahlen an sich müßig ist."

"Bei den 65000 Teilnehmern an der Sühneopferfeier des Katholikentages in Bochum 1944 bewährte er sich als Meister der Organisation, der die Hilfsmittel von Mikrophon und Lautsprecher frühzeitig geschickt zu gebrauchen verstand."

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Nicht nur Mikrophon und Lautsprecher wußte er schon früh zu nutzen, ihn interessierten alle technischen Neuerungen und er freute sich, wenn er sie einsetzen konnte. Das fängt an bei einer kleinen Adler-Schreibmaschine. Er schreibt am 22. Okt. 1928 "... während ich bis jetzt immer auf gebrauchten Schreibmaschinen gearbeitet habe, ist mir als letzte Belohnung für die Arbeiten der vergangenen Wochen jetzt eine blitznagelneue kleine Adlermaschine auf den Tisch der Klosterzelle gesetzt worden. Beseht Euch doch mal diese feinen Buchstaben!" und gipfelt in der kindlichen Freude, die ihm die Tonaufnahmen im Rundfunkstudio des WDR mit allem technischen Drum und Dran Anfang der 60er Jahre bereiteten. Leider habe ich darüber nur meine Erinnerung, kein Dokument.

Das Geheimnis seiner großen Erfolge bei den Volkschoralwochen lag bestimmt an der Freude, die er selbst bei der Arbeit ausstrahlte. Manchmal brachte er mit "flotten Sprüchen" erst einmal etwas Auflockerung in die Probenarbeit. Am Niederrhein sagte er: "Volkschoral, wie muß er sein? - Kraftvoll wie der Niederrhein!" In Westfalen: "Vorn mit der Schnute müßt ihr singen!" oder: "`Freut euch, laßt uns froh sein!´ - wieviel liturgische Texte beginnen so? Aber wir lassen die Unterlippe `bis up de Holsken´ hängen und so ist dann auch der Gesang. - `Sursum corda´. Wenn die Gläubigen den Zuruf des Priesters mit `Habemus ad Dominum´ beantworten, dann muß das wahrhaft heißen: `Wir haben die Herzen schon zum Herrn erhoben !´" "`Ist das nicht herrlich, ist das nicht schön?´ freut sich der Einüber des Gesanges, wenn´s wirklich gezündet hat."..."Und alte, im Schuldienst ergraute Studienräte und Oberstudiendirektoren wundern sich, wie machtvoll die Weltsprache des Latein, die Sprache der Kirche, von Tausenden mit richtigem Akzent gesungen wird." Die Coesfelder Allgemeine Zeitung vom 7.9.1962 schreibt: In ungezählten frohen, aber auch aufreibenden Volksliturgischen Wochen in Nord und Süd, Ost und West unseres Vaterlandes, in größeren Stadt- und kleineren und kleinsten Dorf- und Diasporakirchen, in Stadt und Land wohl aller deutschen Diözesen nahmen Jung und Alt, Gebildete und Arbeiter aufgeschlossen und überaus dankbar die neue Weise der Teilnahme am Gottesdienst auf. Wenn er singt, spielt und auffordert mitzusingen, müssen nicht nur alle mitsingen, sie singen gern und wie selbstverständlich mit. Die Fröhlichkeit des `singenden Paters ´ steckt an."

In einem "offenen Brief" an Pater Gregor schreibt der Pfarrer Dr. theol. Hans Metzger, Basel - Richen: "Keiner kann den Leuten den Mund auftun wie Sie. Wie machen Sie das eigentlich? Ich glaube, es ist darum, weil Sie nicht "Probe halten", sondern zuerst mit eindringlichem Wort um Verständnis werben für das, was Sie wollen: Gottesdienst. Wem nicht zuerst das Herz aufgegangen ist, der tut auch den Mund nicht auf zum Singen. Sie lehren die Leute vor allem anderen beten. Es ist dann ein kleiner Schritt zum Singen."
 
 
 
 

Kapitel X:

Tu solus Dominus! Du allein bist der Herr!

Schon in vorangehenden Kapiteln erfolgte im Rahmen eines bestimmten Themas öfter ein Hinweis auf Pater Gregors KZ-Haft, oder es wurde ein Gedicht aus dieser Zeit zitiert. Dieser wichtige Lebensabschnitt muß aber auch noch im Zusammenhang behandelt werden.

Pater Gregor selbst sprach kaum über diese Zeit oder wenn, dann am liebsten über tragisch-komische Begleiterscheinungen der Haft. So belustigte er sich über sein Aussehen in der Sträflingskleidung: in der Kleiderkammer des KZ hatten sich keine passenden Sachen gefunden, sodaß die Hosen , wie man so sagt, "Hochwasser" hatten, die Jackenärmel nur gut eine Handbreit unter die Ellenbogen reichten. Wie demütigend auch eine lächerliche Bekleidung ist, wenn man für die "Vorgesetzten" sowieso nur eine Nummer ist, erwähnte er nicht. Er erzählte lachend, daß er und seine Mithäftlinge sich nachts nur auf Kommando nach rechts oder links umdrehen konnten, wegen der Enge auf den Schlafsäcken. Daß es gerade die Enge war, welche ihn besonders quälte, sprach er nicht aus, aber viele seiner KZ-Gedichte lassen es ahnen. - Noch zehn Jahre nach seiner Entlassung erwähnte er die schrecklichen Dinge nur nebenbei und berichtet vor allem von den Lagerfreuden in seinem Aufsatz: `Gib Frieden !´

Nicht einmal anläßlich seiner goldenen Profeß also 18 Jahre nach der Haft, wollte er zulassen, daß einige ehemalige KZ-Kameraden, welche an dem Fest teilnehmen konnten, über das Schreckliche dieser Zeit berichteten. Er winkte fast unwillig ab, als Domkapitular Friedrichs in der Festansprache erzählte, im Priesterblock habe jeder irgendwann einmal den Mut verloren, Pater Gregor habe es aber in schlimmen Situationen verstanden, seine Kameraden zu ermutigen, sie mit seiner Hoffnung anzustecken, ja, sogar sie zum Lachen zu bringen.

Friedrichs war - als "Propagandaminister" des Bischofs Clemens August von Münster verschrien - schon 1941 ins KZ Dachau gekommen. Er wurde anfangs Dezember 1944 der erste priesterliche Blockälteste. Die Häftlinge nannten ihn ihren Blockvater. Den Vierzeiler, mit welchem Pater Gregor ihn einmal in kritischer Situation wieder zum Lächeln gebracht habe, kannte er noch auswendig:

Palmsonntag

Ich will gern der Palmenesel sein,

der die Ehre hat, den Herrn zu tragen.

Eseleien wird Er mir verzeih´n,

meinen Mühen weiß er Dank zu sagen.

In seinem Bestreben, auf die Gesichter seiner Mithäftlinge ein Lachen, oder doch wenigstens ein Lächeln zu zaubern, wird Pater Gregor einmal sogar recht leichtsinnig, indem er ein sehr sarkastisches Gedicht schreibt, in welchem er viele S als "SS" -Zeichen ausmalte; - eigenartigerweise war gerade dieses Gedicht beim SS-Personal sehr beliebt. Es mußte mehrmals abgeschrieben werden. Ob seine Ironie von den Betroffenen gar nicht erkannt wurde?

Der Kaktus

ICH KAKTUS lebe ohne Blatt.

Weh jedem Strauch, der Blätter hat!

Die Blätter sind ein ÜberfluSS,

wie ICH das bestens wissen muSS.

ICH KAKTUS fühle mich als MANN,

weil Stacheln ich erzeugen kann.

Die Stacheln sind des MANNES Zier;

ICH HABE SIE! ich schmeichle mir.

Die Flora - Unsinn ohne Zahl!

NUR KAKTUS ist mein Ideal.

Und meinst du anders, stech ich dich,

DENN RESTLOS KAKTUS, DAS BIN ICH!
 
 

Einmal wagt er sogar ganz offene Kritik an den SS-Bonzen:

Verachtung

Du Herrenmensch, du hast geredet

zu deinem Hunde, der vor dir gekrochen.

Hochmütig nennst du uns verblödet,

weil betend wir zum Höchsten Herrn gesprochen.

21.3.44

Dabei hatte ihn gerade diese Kritik - obwohl verbrämt - ins KZ gebracht.

Auch nach der Ausweisung aus Gerleve hielt Pater Gregor noch weiter Volkschoralwochen - in den Augen der Nazis an sich schon eine Frechheit. 1942 war er in Berlin gewesen, 1943 zuerst in Wien und dann in Linz. Linz galt bei den Nazis, wenn erst der "glorreiche Sieg" errungen sein würde, als die zukünftige "Führer-Hauptstadt".

Wie im Stephansdom zu Wien, so war es auch im alten Dom zu Linz: Abend für Abend war die große Kirche bis auf den letzten Platz besetzt. Am 6. Oktober hatte Pater Gregor das "Gloria" eingeübt. Dabei rief er emphatisch aus: "Und jetzt wollen wir mit allen Kräften, mit unserer ganzen Seele singen:

Tu solus Sanctus Du allein bist der Heilige

Tu solus Dominus Du allein der Herr

Tu solus Altissimus Du allein der Höchste!

Infolge nationalsozialistischer Bespitzelung waren die meisten Menschen in der Kirche hellhörig geworden für Zwischentöne. Sie verstanden sofort, was Pater Gregor sagen wollte, in dieser Zeit, da sich Hitler und seine Handlanger als Herren über Leben und Tod, als die Allmächtigen und Höchsten aufspielten. Und so sangen sie das "Tu solus..." so begeistert, daß zur Freude Pater Gregors der ganze alte Dom ein einziges Brausen war. Nach der Probe verließen die vielen Menschen nur zögernd den Dom. Als zuletzt auch Pater Gregor hinausgehen wollte, stellten sich ihm zwei "Herren" in Zivil in den Weg, zeigten ihm ihre Gestapo-Plakette und forderten ihn auf, ihnen zu folgen. Er bat darum, sich im Pfarrhaus Rasierzeug und etwas Wäsche holen und eine Nachricht hinterlassen zu dürfen, aber das wurde ihm nicht gestattet. Er wurde ins völlig überfüllte Linzer Gefängnis abgeführt.

Wann die Nachricht von diesem Ereignis Emmerich erreichte, weiß ich nicht, da ich zu der Zeit meinen Arbeitsdienst ableistete. Meine Mutter erzählte mir, Vater und sein Bruder Karl hätten sofort nach Erhalt der Nachricht die Praxis geschlossen um gemeinsam nach Linz zu fahren, in der Hoffnung, ihrem Bruder Theodor helfen zu können.

Besuchserlaubnis bekamen sie zwar - sie saßen an einem Ende des Tisches, am anderen durfte ihr Bruder unter schwerer Bewachung Platz nehmen, was sollten sie da miteinander sprechen? Onkel Karl und Vater bezeichneten den "Besuch" als die schrecklichste "Ewigkeit" - es waren 10 Minuten - in ihrem Leben, niemals sei ihnen das Ausgeliefertsein an eine tyrannische, grausame, irrationale Macht so spürbar gewesen, wie in dieser furchtbaren Situation. Und doch schreibt Pater Gregor später aus dem KZ: "...Wie unvergeßbar schön war der Tag, da ihr beide, Bernd und Karl, mich besuchtet..." Es gab nämlich damals nicht Wenige, die ihre verhafteten Verwandten verleugneten, aus Angst, selbst in die Tretmühlen der Ungerechtigkeit und Gewalt zu geraten.

In ihrem Versuch, etwas zur Freilassung bzw. zu einem regulären Prozeß für ihren Bruder zu erreichen, wurden Vater und Onkel Karl von einer Behörde zur anderen geschickt. Man ließ sie nach Emmerich zurückfahren in der festen Überzeugung, die Sache stehe für Pater Gregor nicht schlecht. Wie wirklich um ihn bestellt war, schreibt die Totenchronik: "Drei Monate lang verbrachte er unter armseligsten Umständen im überfüllten Polizeigefängnis von Linz. Am Silvestertag wurde er ins Polizeigefängnis von Salzburg überführt, von dort am Neujahrsnachmittag ins Polizeigefängnis nach München, wo er mit sechs wegen Landesverrats zum Tode verurteilten jungen SS-Soldaten holländischer Nationalität in einem unsauberen Raum zusammen war. Am 2. Januar 1944 wurde er mit zahlreichen anderen ins Konzentrationslager Dachau eingeliefert. Hier mußte er bis zum 10. April 1945 aushalten."
 
 
 
 
 
 

Kapitel XI:

Nur wollen wir uns eine große Liebe antun, wir wollen nicht über unser Schicksal klagen.

Trotz des ganzen Elends, das Pater Gregor im KZ erlebte, fand er nach dem 7. Oktober 1944 noch tröstende Worte für seine Brüder und deren Familien, die beim Angriff auf Emmerich nur ihr nacktes Leben retten konnten und im Münsterland, bzw. im Sauerland eine Unterkunft erbetteln mußten. In einem der wenigen Originalbriefe aus Dachau, die uns erhalten blieben, schreibt Pater Gregor am 3.12.`44:

" Diesen Brief vom 1. Adventssonntag schmücke ich im Geiste so weihnachtlich wie möglich. Wie glücklich war ich vor einem Jahr, als ich in meine Linzer Einsamkeit hinein Eure weihnachtliche Sendung bekam. Wie unvergeßbar schön war der Tag, da ihr beide, Bernd und Karl, mich besuchtet... Ihr kamt aus dem freien, vollen Leben und habt mich getröstet. Jetzt ist es insofern ganz umgekehrt, als ich mein ruhiges Bett (!!!), meine Kost und meine Arbeit habe und Ihr, durch den Terror von allem beraubt, geradezu bettelarm in der Fremde eine enge Zuflucht habt.... Wie sehne ich mich nach Nachrichten von Euch, über Familie Bernd, Familie Karl, über Gertrud, auch über Schraders Familie. Nur wollen wir uns gegenseitig eine große Liebe antun: Wir wollen nicht über unser Schicksal klagen. Zwar sind auch meine Dachauer Briefe in Brand und Feuer aufgegangen, aber Ihr wißt, daß ich in keinem einzigen Brief geklagt habe. Ihr wißt, daß wir mit Herz und Mund, mit Chorgesang Gottes unbegreifliche Fügungen preisen, weil sie aus ewiger Weisheit und Liebe hervorquellen und weil sie alle bitteren Dissonanzen des Erdenlebens in ewig wonnige Harmonien umwandeln werden.... Im Geiste unlösbar verbunden, feiern wir in Armut ein Weihnachtsfest, seelisch so reich wie noch nie!..."

Klaglos zu leiden bedeutete für Pater Gregor also weder Fatalismus noch Verdrängung, sondern eine große Liebe, die einer dem anderen antun konnte. So, wie Pater Gregor nicht nur zu geben, sondern auch zu nehmen bereit war, so erbat er sich jetzt auch von uns die Liebe, klaglos zu leiden, so wie er bereit war, diese Liebe uns und seinen KZ-Kameraden zu schenken. In seiner ganzen Haftzeit war er bemüht, Hoffnung zu bewahren, Hoffnung zu geben.

Das erscheint ein fast aussichtsloses Bemühen, wenn man einige Fakten und Daten aus dem KZ Dachau liest. Ich habe sie nicht von meinem Onkel, sondern von einem seiner KZ-Kameraden, dem österreichischen Pater Lenz, der sie in seinem im Eigenverlag erschienenen Buch "Christus in Dachau" 1956 mitteilt. Pater Lenz war von 1940 bis 1945 in Dachau. Er schildert das KZ Dachau als etwa 520m mal 260m groß, rings umgeben von einer hohen Mauer, einem elektrisch geladenen Stacheldraht, einem tiefen Graben und sieben gemauerten mehrstöckigen Wachtürmen, von welchen schwere Maschinengewehre auf das Lager gerichtet waren. Durch ein Tor im Jourhaus - dem Haus der Wachmannschaften - kam man auf einen etwa 60.000 Menschen fassenden Appellplatz. Rechts und links einer langen Lagerstraße standen 30 Baracken, in Dachau "Blöcke" genannt, auf der einen Seite die "Wohnungen" für das Heer der Inhaftierten, auf der anderen Seite das "Revier", die Blöcke für die Kranken und Invaliden. Streng getrennt von den übrigen Gefangenen gab es hinter dem Küchenbau Bunkerzellen für die sogenannten "Ehrenhäftlinge". Sie bekamen SS-Kost, wurden gut behandelt, brauchten nicht am allmorgendlichen Appell teilzunehmen. Zu den "Ehrenhäftlingen" gehörten z.B. Pastor Niemöller, die Ehepaare Schuschnigg und Blum, Hjalmar Schacht und die "Sippengefangenen" der Familien von Stauffenberg, Goerdesler und Kaiser.

2812 Geistliche waren in Dachau inhaftiert. 30% aller inhaftierten Priester kamen ums Leben. Sie starben an Mißhandlungen, Entkräftung, Hunger oder Seuchen.

Auf dem großen Appellplatz mußten sich jeden Morgen bei jedem Wetter alle Häftlinge zum Zählen aufstellen. Seinem Bruder Karl gegenüber hat P.Gregor einmal gesagt, daß die toten jeder Nacht zum Appell mitgebracht werden mußten. Sie wurden seitlich von den langen Reihen der zu einem Block gehörenden Häftlinge auf den Boden gelegt, zwischen ihre nackten, erstarrten Zehen wurde ein Zettel mit ihrer Gefangenennummer geklemmt.

Ein Aus-der-Reihe-Treten galt als Fluchtversuch. Jeder Posten durfte sofort scharf schießen. Wenn er traf, erhielt er drei Tage Urlaub, zwanzig Mark und eine beachtliche Zigarettenzuteilung.

Bis 1942 dauerte der Appell oft mehr als eine Stunde, später meistens nicht länger als eine Viertelstunde. Trotzdem fand das Wachpersonal Gelegenheit genug, die Häftlinge mit Dauerstehen zu quälen. Dichter Nebel, der bei dem Moorland rings um Dachau keine Seltenheit war, galt als erhöhte Fluchtgefahr. Deshalb gab es kein Ausrücken der Arbeitskommandos, und diese mußten stehen, - oft stundenlang - bis sich der Nebel verzog.

Pater Lenz schreibt: "Eine schlimme Sache für uns war jedes ungute Wetter. Ein einziger Regentag brachte für 30 bis 50 Gefangene den Tod... Für uns gab es keine Kleider zum Wechseln... Das Hemd und die Hose mußten auf jeden fall am Leib trocknen... der Gedanke der uns beherrschte (war): `Nur nicht krank werden, sonst sind wir verloren!...´".

Zu Beginn seiner Haft vermag Pater Gregor dem An-das Wetter-Ausgeliefertsein noch einen gewissen Trotz entgegenzusetzen. Am 24.1.1944 schreibt er das Gedicht:

Westwind

Schauriger, schneidender Westwind

schießt seine eiskalten Pfeile

heulend auf schutzloses Ziel.

Siehst du nicht, wie wir so arm sind,

wie uns in wartender Weile

martert dein grausames Spiel?

Tobe nur, tose nur weiter,

wie dir der Schöpfer geboten,

bis deine Arbeit vollbracht.

Bist wie ein grimmiger Streiter,

Siegeslied sind deine Noten,

drängst die Natur mit Macht

vorwärts zur Frühlingspracht.

Das "Tobe nur, tose nur weiter" stellt Pater Gregor sicherlich nicht nur dem schneidenden Westwind entgegen, sondern auch dem Geschrei mancher SS-Wachleute, die ihre Schimpfkanonaden "heulend auf schutzloses Ziel" abschossen. Das "drängst die Natur mit Macht vorwärts zur Frühlingspracht" steht dazu nicht in Gegensatz. Für ihn drängen der Grimm, die Siegeslieder der SS-Leute die Gepeinigten einer "Frühlingspracht" entgegen, in jenem kommenden Leben, an das er fest glaubt.

Neben den SS-Wachmannschaften und dem Blockpersonal waren die "Capos" eine Art gefürchteter Vorgesetzter für die meisten Häftlinge. Als "Capos" wurden jene durch eine gelbe Armbinde gekennzeichneten Mithäftlinge bezeichnet, die eine Aufsichtsfunktion ausübten. Dafür erhielten sie eine aufgebesserte Verpflegung und hegten die Hoffnung, bei der Entlassung ein gutes Führungszeugnis von der SS ausgestellt zu bekommen. Pater Lenz schreibt: "... `Capo als Mörder ´ und `Capo als Freund ´, beide gab es in Dachau und in allen Lagern. ... Nicht jeder Mithäftling, der im Lager eine bevorzugte Stellung innehatte, war auch ein Lagerbonze. Und so mancher hat bei SS-Besuchen mehr gezittert als seine Kameraden.
 
 

Kapitel XII:

...denn er ist kein harter Treiber,

sondern ist ein Mann von Herzen,

der zu fühlen weiß die Schmerzen

derer, die mit ihm hier leben...

...so schreibt Pater Gregor von einem "Capo" auf der "Plantage". Die Plantage, wie die "Deutsche Versuchsanstalt für Ernährung und Verpflegung" kurz genannt wurde, war 1938/39 auf einer Fläche von 240 Morgen angelegt worden und bildete seit 1942, als die Fronarbeit abgeschafft wurde, um die Häftlinge als inzwischen sehr kostbar gewordene Arbeitskraft möglichst am Leben zu erhalten, das Hauptkommando für Priester. Etwa 500 bis 700 von ihnen waren hier beschäftigt.

In der Plantage scheinen die `Capos ´ recht anständig gewesen zu sein. 1942 hatten die deutschen Bischöfe nach vielen Eingaben einige Erleichterungen für die inhaftierten Priester erreicht. Dazu gehörte, daß sie alle in einem Block zusammengefaßt wurden und daß ihre Capos selbst Priester waren.

Pater Gregor arbeitete auf der Landbauforschungsstation im Kommando "Versuchsabteilung Natürlicher Landbau". Pater Augustin Hessing OSB hatte ihn als Hilfskraft angefordert und ihm damit "das Leben gerettet", wie er sich später einmal meinem Bruder gegenüber äußerte. Pater Augustin hatte schon in seinem Heimatkloster Gerleve Versuche mit Regenwürmern als Kompostbereiter gemacht. Er hatte die Wirkung verschiedenster Kräuter auf die Qualität der Komposterden erprobt und die verschiedensten Anzuchtversuche auf den jeweiligen Komposten durchgeführt. Seine Kenntnisse und Erkenntnisse kamen den Nazis sehr gelegen. So wurde ihm in der Versuchsanstalt auf der Plantage in Dachau eine ganze Abteilung zur Verfügung gestellt, um seine Versuche fortzuführen - ein "Volksschädling" im Dienste der "Volksernährung"!!!

Über die Versuche mußte genau Buch geführt werden. In seiner Abteilung gab es daher Schreibgerät und Papier.

In diese Abteilung kam Pater Gregor wahrscheinlich im April, denn seine ersten Blumengedichte datieren aus dieser Zeit. Er scheint Capos und Vicecapos gehabt zu haben, die ein Auge zudrückten, wenn er nach Erfüllung des Arbeitssolls nach Feder und Papier griff, um zu dichten. Als Gegenleistung mußte er dafür den Vorgesetzten "Gelegenheitsgedichte" schreiben.

Pater Gregor empfindet die zwölf Stunden Arbeitszeit als Glück. Zum Jahreswechsel schreibt er:

"War es denn nicht etwas Großes,

diese Menge von Versuchen

sie zu machen, zu verbessern

und erst recht, sie dann zu buchen?

Da auch noch die Musen kränzten

die sonst trockene Berichtung

mit den feingemalten Versen

einer tiefgefühlten Dichtung,

werden die Herren Chefs erwägen,

wie man solchen Fleiß belohne

unsern eifervollen Capo

heb´ in eine höh´re Zone...

In der Plantage waren also wohl die Höhergestellten - selbst Priester - keine Unmenschen, sondern Kameraden, die sogar von ihrer Verpflegungsaufbesserung mitgaben. Das läßt sich aus einem Gedicht ablesen, das Pater Gregor anläßlich einer bescheidenen Nikolausfeier im Büro schrieb:
 
 

Der Ackerbauversuchsabteilung

die freudige Expressmitteilung,

daß heute früh in dieses Haus

kam still und leis St. Nikolaus.

Weil ihn der Arbeitseifer rührte,

den er in diesem Raum verspürte,

weil er den Stoß Gedichte sah,

in diesen hohen Schränken da,

sowie die schmalen, blassen Backen

von uns, die wir uns müh´n und placken,

so gab er unsrer Brotzeit bei

von seinem Reichtum allerlei,

zwar kriegsgemäß, zwar lagermäßig -

wir sind zufrieden, nicht gefräßig...

6.12.`44

Der Capo Anton scheint doch schon mal herumzuschreien, denn Pimpinelle, ein Heilkraut gegen Heiserkeit, erscheint Pater Gregor für ihn nicht ganz ungeeignet. Er schreibt ihm augenzwinkernd zum Namenstag:
 
 

Von Komposten rings umgeben

wollt´ ich mein Genie erheben,

eine Dichtung auszudenken,

unserm Capo sie zu schenken.

Der Kompost von Thymian

Bohnenstroh und Baldrian,

der Kompost von Seflarstroh,

all das machte mich nicht froh.

Am Kompost von Wanzenblumen,

kriegte ich erst recht kein Lumen.

Doch das Schildchen "Pimpinelle"

wär´ schon recht für manche Fälle.

Als ich las das Schildchen "Kümmel"

sang ein Vöglein hoch am Himmel:

Kümmel, wär´ das jetzt ein Späßchen,

hätt´ ich flüssig dich im Gläschen.

Das erfaßte mein Gemüt,

dachte mir: der Vers, der zieht!

Jeder stelle sich es vor,

wie ich heb´ mein Glas empor,

und ich rufe laut und feste:

"Capo Anton, alles Beste!"

13.6.`44

In einem anderen Gelegenheitsgedicht läßt Pater Gregor "das Kind im Manne" voll zum Zuge kommen. Er jongliert mit Worten. Ich denke, das waren für ihn so eine Art "Fingerübungen" des Geistes: Der Vicecapo des Büros, Robert Pruskowski, Pfarrer von Wengoyen in Ostpreußen erbittet sich zu seinem Geburtstag am 1.2.`45 Verse, die sich auf Wengoyen reimen. Pater Gregor findet 33 Reimwörter. Von den 37 Zeilen des Gedichtchens schreibe ich nur 10 Zeilen ab, in welchen in der Wortspielerei deutlich wird, wie stolz der ostpreußische Pfarrer vom ländlichen Reichtum seiner kleinen Pfarre geschwärmt haben muß, mit wieviel Heimweh er an diese gedacht hat. Pater Gregor wünscht ihm:

Auf den Wiesen sollst Du dreimal jährlich heuen,

Deine Teiche seien voll von Hecht und Schleien

hohe Preise wünsch´ ich Deinen schweren Säuen.

Seh´ ich Deine Rinder, wie sie wiederkäuen,

die gefüttert sind mit Rüben, Mais und Kleien,

wünsch´ ich, daß sie reich an Milch und Butter seien.

Am Gestade hör´ ich Deine Gänse schreien

Deine Hühner picken Weizen aus dem Spreuen.

Ach, ich wünsche nur, daß wir im nächsten Maien

in Wengoyen miteinander glücklich seien...

Als Kommentar paßt zu diesem Wortspaß ein Vierzeiler, den Pater Gregor am 27.4.`44 schrieb:

Bruder, wie schön ist der Ernst

beim Denken, beim beten, beim Wirken.

Aber wenn leise du lachst,

freuen sich alle mit dir!

Der Ernst kommt mehr zum Tragen in einem Gedicht für den Hauptkommandoschreiber Andreas Rieser, Pfarrer von Hofgastein. Er war ins KZ gekommen, weil er den Turm seiner Pfarrkirche renovieren wollte...

... Und es ihm dabei passierte,

daß er schrieb ein Dokumente,

das geriet in falsche Hände. -

Weil so turmhoch er geschrieben,

hat das Schicksal ihn getrieben

daß er Schreiber ist geblieben

hier in Dachaus Hauptbetrieben.

Turmhoch steht vor uns der Schreiber

denn er ist kein harter Treiber,

sondern ist ein Mann von Herzen,

der zu fühlen weiß die Schmerzen

derer, die hier mit ihm leben

deren Wünsche heimwärts schweben,

die ersehnen, daß die Erde

bald ein Friedensgarten werde,

die es baldigst schauen wollen,

wie aus blutgetränkten Schollen

glücklich schöne Zeiten blühen

und wir wieder heimwärts ziehen

in die Täler, in die Höhen,

an die Ströme, an die Seen ... "

30.11.44
 
 
 
 
 
 
 
 

Kapitel XIII:

Wir helfen uns mit Schweigen zu ertragen

das Rauhe, Schwere, Harte vielerlei

und wollen ständig betend uns bemühen

daß uns und allen immer Freude sei.

Diese Verse schrieb Pater Gregor seinem Confrater, Mithäftling und "Lebensretter" Pater Augustin zur Silbernen Ordensprofeß im Lager, am 25.2.`45.

Freude im KZ-Lager, das klingt absurd, und doch hat es sie auch gegeben. Wir hörten schon, daß die Arbeit für Pater Gregor Freude war. Manchen Versen ließ sich entnehmen, daß es unter den Priesterhäftlingen eine gute Kameradschaft gab, eine Freude, die sich wohl nur in schwierigen Situationen so erfahren läßt. Auch diese Erfahrung drückt Pater Gregor in zwei Vierzeilern aus:

Kameradschaft

Je mehr es oft am Tag den Anschein hat,

als schied der Mensch sich nicht von wilden Tieren,

je mehr erglüht der gute Kamerad

um sich und euch in geistig Land zu führen.

Bruder, du hast mich getröstet

als Wehmut mich bitter bedrohte,

nur durch ein einziges Wort.

Ewig es sei dir gelohnt!

Freude erwuchs Pater Gregor vor allem aus der Natur. In seinen Gedichten versucht er, auch seine Kameraden an dieser Freude teilhaben zu lassen und Gott für die Schöpfung zu danken. In seinem Aufsatz: "August `44, Gib Frieden" (s.o.) schrieb er:

" Ich machte jeden Tag Beobachtungen bei den Blumen, Kräutern und Pflanzen und schrieb manchen Vers darüber nieder ... Besonders tat es mir das Johanniskraut an, das unscheinbare, beim Volk beliebte, mit seinen gelben Blüten, die, wenn man sie zerquetscht, einen blutroten Saft geben, heilkräftig für manches Siechtum ... Ich schrieb ein volksliedartiges Gedicht darüber und ersann eine Melodie dazu:

Johanniskraut

Hab am Wegrand ein Büschlein gepflückt

habe die goldgelben Blümlein zerdrückt,

blieb ein blutrotes Tröpflein.

"Herrgottsblut", sagten die einen mir leis

andere sagten "Johannesblut" sei´s,

wär´ vom Blutkraut ein Tröpflein.

Hebe ein Blättlein empor in die Höh´n,

kannst darin hunderte Sternlein seh´n.

Schaust vom Himmel ein Tröpflein.

9.8.`44

Den Pappeln, welche die trostlose Lagerstraße säumen, spricht er Mut zu:

Die Pappel

Die Pappel schien zu klagen:

"Warum muß ich hier steh´n?

Es würd´ mir mehr behagen

in Gärten und auf Höh´n."

O Pappel, laß das Träumen,

du stehst bei uns so gut,

die Straße darfst du säumen,

schirmst uns vor Sonnenglut.

Mit allen deinen Zweigen

lenkst du den Blick empor.

Kein Sturmwind kann dich beugen,

du freuest Aug´ und Ohr.

Wer hörte auf dein Rauschen,

ständst du an anderm Ort?

Doch hier viel Tausend lauschen

auf dein ermunternd Wort.

3.6.`44

Klingt in diesem Gedicht noch der trostlos - graue Lageralltag mit, vor welchem nur der emporgelenkte Blick rettet, so ist davon im folgenden Gedicht, einen Monat später geschrieben, nichts zu spüren.

Traum

Ich liege im blauen Lavendelkraut,

ich liege in blauer Salbei.

Der blaue Himmel herniederschaut,

ob froh, ob zufrieden ich sei.

Dann meine ich weiße Kamillen zu seh´n

Holunder, weißblühend und groß.

Ich seh´ eine schneeweiße Wolke geh´n

die wirft mir das Glück in den Schoß.

Die Fingerhutglocken sind purpurrot

und rot sind die Rosen am Strauch,

und rot am Abend der Himmel loht

von Liebe ein Bild und ein Hauch.

Goldgelbe Lichter im Kreise erglüh´n

kann Königskerze nur sein.

Vom goldgelben Mond geweckt ich bin. -

War alles nur Traum und Schein?

1.7.`44

Man fühlt sich beim Lesen dieser Verse in die glühenden Farben eines Nolde-Gemäldes versetzt - nicht in das Elend eines Konzentrationslagers - bis die beiden letzten, traurigen Zeilen erinnern lassen: Vom goldgelben Mond geweckt ich bin - nicht der Sturm, nicht die Kälte des Lagers, der schöne, goldgelbe, zum Träumen verführende Mond weckt auch wieder auf, holt zurück in die Wirklichkeit - war alles nur Traum und Schein?

Bittersüße Freude spricht aus den meisten Blumengedichten. Sie schildern die Pracht der Schöpfung, sie versuchen zu trösten, indem sie die irdische Schönheit der Schöpfung transparent machen auf ein "Leben danach".

Ballon Malve

Menschen, ich ruf euch zum Wettstreit:

Könnt ihr erbauen Gezelte,

wie ich euch zeige im Herbst,

sinnvoll und prachtvoll zugleich?

Pflück dir mein Samengehäuse

geformt wie ein kunstvoller Rundbau,

Zelttuch aus haarigem Samt

sternenstrahlig das Dach!

Fünfzehn bis siebzehn Kammern

bilden das Innere des Zeltes,

silberseidenes Tuch

dient den Zelten zur Wand.

Drei erlesene Samen

sich finden in jeglicher Kammer

fühlen sich heimisch und wohl

bis ich sie sende hinaus.

Nach den Stürmen des Winters

werden aus fruchtbarer Erde

neu sie treiben empor

blumige Malven zur Höh´!

Bis sich wieder die Blüten

in Fruchtgehäuse verwandeln,

Mensch, ob du endlich wohl siehst,

was meine Baukunst dir sagt:

Droben auf besseren Sternen

hat unser allmächtiger Schöpfer

Zelte in Menge erbaut

wohnlich, prächtig und warm

schöner als alle Gewächse

es können vergleichend dir zeigen

fürstlich wie niemals ein Fürst

hatte auf Erden ein Zelt.

Eines der zahllosen Zelte dort

sollst du beseligt bewohnen,

wie es der Meister verheißt.

Eile und mach dich bereit!

Sept. `44

Das nächste Gedicht stellt einen herrlichen Sonnenuntergang vor unser inneres Auge - aber dann, in der letzten Strophe bricht die Sehnsucht nach mehr Raum, nach Stille, nach Einsamkeit durch. Pater Gregor weiß, was den Häftlingen fehlt, um des Schönen inne zu werden, das "eine unendliche Güte" wie aus dem "Füllhorn" verstreut: ein Stübchen (ein Zufluchtsort), Einsamkeit und damit Ruhe.
 
 

Im Wildpark

Vor dem Hintergrund schwarzgrüner Wälder,

schwarzblauen Gewölks im Norden

ist in westlich verglühender Sonne

die Landschaft wie Silber geworden.

Hohe Birken ergreifen das Leuchten

dezemberlich liegender Strahlen.

In dem weißen Gewande des Lichtes

sie lassen im Fischteich sich malen.

Der entblätterten Sträucher Gezweige,

ein Märchen im rosigen Feuer!

Millionen unscheinbarer Knospen

wie königlich purpurne Schleier!

Ob im Blockhaus nicht wäre ein Stübchen,

in Einsamkeit inne zu werden,

wie das Füllhorn unendlicher Güte

verstreute das Schöne auf Erden?

Dez. `44

In der bitteren Lagerrealität gab es weder "Stübchen" noch "Einsamkeit" sondern nur erbärmliche Enge. Pater Lenz schreibt: "Der Anfang September 1944 brachte wohl die gefährlichste Krise. Die Überfüllung im Lager war unheimlich geworden..." "... Es wuchs die Zahl der (inhaftierten) Priester ... Der Raum ward immer enger ... an den Tischen drängten sich immer mehr um ein bescheidenes Plätzchen. Schon mußte das armselige Essen in zwei Hälften ausgeteilt werden. Während die einen aßen, mußten die anderen auf der Blockstraße warten. Und die zahl der Einmann-Strohsäcke reichte schon lange nicht mehr. In drei Stockwerken waren sie schon übereinandergetürmt. ... Schon mußten zwei Mann mit einem Strohsack vorlieb nehmen. Im letzten Halbjahr mußten sogar fünf Mann auf zwei Säcken ihr Auslangen finden."

[>Fotos]

So drangvoll die Enge in den Blocks sowieso war, im Januar 1944 waren zusätzlich als Strafmöglichkeit auch noch vier Stehzellen im Priesterblock eingebaut worden. Diese Zellen, etwa 85x85 cm im Grundriß, glichen einem Kamin. "Man konnte sitzen, knien oder stehen .. Mantel und Decke durften nicht mitgenommen werden. Zum schwarzen Morgenkaffee und zur Abendsuppe ... wurden die Stehzellen geöffnet. Mittagessen gab es keines." Pater Lenz, der davon berichtet, kam am 26. Nov. 1944 in einen Stehbunker mit der Begründung "Hat ein Buch im Lager geschrieben und verbreitet" Schon am 9. März war er vom Lagerführer verhört worden "zusammen mit mehreren schreiblustigen Priestern" "Wer hatte uns verraten?" fragt Lenz. In einem Gedicht von Pater Gregor vom 6. Jan. 1945 klingt eine ähnliche Frage an:

Judas

Auserwählte In unsern Tagen

zwölf Apostel viele Geweihte,

Jünger Christi. Priester des Herrn.

Freunde Christi Diener der Kirche.

Einer ein Teufel. Nirgends ein Judas?

Ob Pater Gregor auch Bekanntschaft mit der Stehzelle machte, weiß ich nicht - da er von den schlimmen Dingen des Lagers nicht sprach. Ob er einer der "schreiblustigen" Priester war? Wie gesagt erwähnte er einmal, Pater Augustin habe ihm das Leben gerettet, indem er ihn für die Plantage anforderte. Wovor gerettet? Fronarbeit war ja schon seit dem 2. Juli 1942 abgeschafft. - Oder gerettet, indem er ihm die Möglichkeit zum Schreiben gab? Ob Stehzelle oder nicht, die grauenvolle Enge des Lagers war für alle Häftlinge eine Qual. Das "Dichten" brach für Pater Gregor die Enge auf "hinweg vom engen Raum, vom kleinen Ich".
 
 
 
 
 
 

Kapitel XIV:

Am langen Tisch gönnt mir den schmalen Platz zu schreiben zwei, drei Worte, einen Satz.

Zweimal im Monat durften die Häftlinge an eine bestimmte Adresse schreiben und von einem Absender zwei Briefe mit einer bestimmten Anzahl von Zeilen empfangen.

Für meinen Vater, dem einzig berechtigten Empfänger und Absender für Pater Gregor, brachte das bei dessen großem Freundeskreis eine Fülle von Arbeit mit sich. Aus allen Ecken und Enden Deutschlands kamen Briefe zu Vater, deren Nachrichten er auf ihre Wichtigkeit für Pater Gregor hin aussortierte und so zu formulieren suchte, daß aus ihnen weder für ihn, noch für seinen Bruder, noch für den Absender ein Nachteil entstehen konnte. Danach versuchte er die Nachrichten zusammen mit eigenen Mitteilungen in möglichst kleiner Schrift auf den erlaubten 42 Zeilen unterzubringen. Diese Aufgabe verschlang die wenige Freizeit, über welche mein Vater verfügte, fast ganz. Aber er bereitete seinem Bruder mit jedem Brief eine riesige Freude. In einem Brief aus Ettenkirch vom 9.2.`46 schreibt Pater Gregor:

"Lieber Bruder! Welch ein Ereignis war es doch, wenn man sich in dem Elend und in der Enge des KZ ein winziges Schreibplätzchen suchte, um den Vierzehntagebrief nach Hause zu schreiben! Wie hat man die Zeilen der Formulare abgezählt, jedes Wörtlein überlegt, das man notwendig sagen wollte, jeden einzelnen Buchstaben gleichsam mit seinem Herzblut hingemalt! Dieser Vierzehntagebrief war die einzige winzige Ritze, durch die man wie ein verschütteter Bergmann ein Lebenszeichen nach außen geben konnte. Unermeßlich groß war die Wohltat, die Du mir durch die treue, regelmäßige umständliche Posterledigung nach Dachau erwiesen hast. Das kann ich Dir nie auf Erden vergelten! ..."

Auf der Plantage hatte Pater Gregor eher die Chance, einen, wenn auch schmalen Schreibplatz zu finden, als in der überfüllten Baracke. Was ihm im KZ ein Plätzchen zum Schreiben bedeutete, finden wir in seinem Gedicht:

Der Schreibplatz

Am langen Tisch gönnt mir den schmalen Platz

zu schreiben zwei, drei Worte, einen Satz,

aufdaß die Feder Anlaß sei zum Denken,

den Geist hinweg und hoch hinauf zu lenken

hinweg vom engen Raum, vom kleinen Ich

vom Allzumenschlichen so jämmerlich.

Dann bin ich froh in hoher Feierstille

und aus des innerlichen Glückes Fülle

soll ab und zu ein freundlich Brieflein fließen,

die Lieben draußen herzlich zu begrüßen,

ein Brieflein, das die schweren Sorgen nimmt,

wohl gar zur Freude ihre Herzen stimmt.

Mag sein mein Schreibplatz noch so eng und schmal,

es geht von ihm ein breiter Sonnenstrahl

aus Einsamkeit hinaus an alle Fronten.

Ob besser je wir denken, schreiben konnten?

15.3.`44

In der ersten Zeit seiner Lagerhaft konnte Pater Gregor auch noch Pakete empfangen. Am 2. Juli 1942 hatte ein für die Konzentrationslager verantwortliches Gremium beschlossen, die Konzentrationslager sollten nicht mehr Vernichtungs- sondern Arbeitslager sein; ich erwähnte es schon im Zusammenhang mit der Arbeit der Priester auf der Plantage. Da die ausgehungerten Häftlinge kaum arbeitsfähig waren, Staat und Lagerführung aber nicht für bessere Versorgung sorgen wollten (oder konnten) - zuerst mußten die Frontsoldaten verpflegt werden - wurde die Zusendung von Lebensmittelpaketen erlaubt. Tatsächlich gelang es eine Zeitlang, auf diese Weise den größten Hunger im Lager zu stillen und die Arbeitsleistungen zu steigern. Aber schon im Juli 1944 reichte der Paketsegen nicht mehr aus, viele Pakete gingen durch Bombenangriffe auf die Verkehrswege verloren, viele Absender wurden ausgebombt. Wieder begann der Hunger, und mit dem Hunger ein Massensterben, das im Dez. `44 / Jan. `45 seinen Höhepunkt erreichte, als auch noch Flecktyphus ausbrach und täglich 100 bis 150 Häftlinge starben. Im Priesterblock wurde zwar tägliche Läusekontrolle durchgeführt - Läuse sind die Überträger des Flecktyphus - aber die unglaubliche Enge in den Baracken machte einen vollständigen Schutz vor Übertragung unmöglich.

In dieser Situation wurde den Dachauer Priestern eine weitere Vergünstigung, welche die Bischöfe 1942 für sie erwirkt hatten, zu einer ganz großen Hilfe: Sie hatten das Recht, an Sonn- und Feiertagen an einer hl.Messe teilzunehmen und Brevier zu beten. Daher war ihnen ein Barackenraum als Kapelle zur Verfügung gestellt worden. Die Kapelle wurde die Zuflucht, die hl.Messe war Woche für Woche der Höhepunkt, die Freude ihres Häftlingslebens.
 
 
 
 
 
 

Kapitel XV:

... eine kirchenmusikalische Feier, die ich auf Erden nicht mehr erleben kann ...

Pater Gregor berichtet: "So kam es, daß ich in der unglaublichen Atmosphäre des KZ keine Unterbrechung meiner Choral- und Kirchenmusiktätigkeit erlitt ... Bald konnte ich mich auch als Organist betätigen. An dem kleinen Harmonium habe ich mich gefühlt, als spiele ich die berühmteste Orgel der Welt." Dem fügt Pater Lenz hinzu: "Er hat mit großer Bescheidenheit und liebenswürdigem Humor sein Amt gemeistert." Pater Gregor erzählt weiter: "Kunstsinnige Brüder trieben mich an, diese oder jene Komposition für unseren vierstimmigen Chor zu schreiben, um die Leidensgefährten zu erfreuen ... Weil die Gesänge viel Anklang fanden, kam man auf die Idee, wir sollten eine Dachauer Messe haben. Es ist mir unbegreiflich, wie ich sie habe komponieren können. Am fest der `Muttergottes vom Loskauf der Gefangenen ´ (24. Sept.), das 1944 auf einen Sonntag fiel, wurde sie zum erstenmal gesungen. ... Eine Messe im Wechselgesang zwischen dem vierstimmigen Chor und der ganzen einstimmigen Gemeinde. Weil im Lager die Instrumente und die besten Musiker vorhanden waren, stützten wir alle Volkssätze mit einem Blechbläserquartett. Die Messe hat durch das halbe Lager geklungen!

Eine kirchenmusikalische Feier, die ich auf Erden nicht mehr erleben kann, war das Weihnachtssingen der Nationen: in der dichtgefüllten Kapelle sangen zuerst die Italiener, die Franzosen, die Slowenen. Es folgten anschließend tschechische und deutsche Chorgesänge.

Zu Weihnachten 1944 wurde auch ein Abend geistlicher Weihnachtsmusik veranstaltet. Es war nicht eigentliche Kirchenmusik. Weihnachtliche Soli und Chorlieder, Instrumentalsoli weihnachtlicher Art. Endlich ein Trio für Flöte, Violine und Bratsche über Ò du fröhliche, o du selige, gnadenbringende Weihnachtszeit ´! (von G.Schwake)" ...

"Die geistliche Musik durfte zum Osterfest sogar bis in eine Lagerveranstaltung vordringen. So geschah es denn, daß am Vormittag des Ostersonntag 1945 einer der besten ungarischen Geiger, ein hervorragender Bratschist der Berliner Staatsoper und ein holländischer Cello-Professor in wunderschöner Einmütigkeit einer Hundertschaft verständnisvoller Häftlinge eine Fantasie und Fuge (von G.Schwake) über `Christ ist erstanden ´ vorspielten."

Einen Höhepunkt in seiner Dachauer Zeit erlebte Pater Gregor am 17. Dez. 1944, als der von fünfjähriger Haft schon todkranke Karl Leisner von dem französischen Bischof Piquet, der kurz zuvor in den Priesterblock gekommen war, zum Priester geweiht wurde. Der Bischof hatte wie alle anderen Häftlinge einen kahlgeschorenen Kopf und trug sein Ornat über der Häftlingskleidung. "Eine Stube in einer billigen Baracke ist der Dom ... Mehr als tausend Priester, Kopf an Kopf dicht gedrängt - die größte Priestergemeinde auf Erden im engsten Raum."
 
 
 
 
 
 

Kapitel XVI:

Apokalyptische Dramen immerzu heldisch erleben ich sollt - ach, mein Ich hatte nie solche Wünsche ...

Obwohl sein starker, kindlicher Glaube und ein festes Vertrauen Pater Gregor durch Höhen und Tiefen des Lebens trug, obwohl im KZ-Lager seine Gedichte so etwas wie eine Selbsterhaltungsfunktion hatten, konnte ihm das doch keine gleichmäßig wohltemperierte Gemütslage bescheren. Das Grauen ringsum ergreift auch ihn, obwohl sein Geist sich so tapfer nach dem Licht ausstreckt. Seine Gedichte spiegeln das Auf und Ab, das Hin und Her, das Ich-kann-nicht-mehr! und das "So habe ich es nicht gewollt!", das wohl keinem Menschen erspart bleibt, der versucht, mit dem Blick in Abgründe weiterzuleben. Seine Verwandten, seine Mithäftlinge mit seiner Not zu belasten verbietet ihm die Liebe. Er trägt sie zu seiner Mutter Maria:

Maria Rast

Du, Maria, gib uns Rast,

wir sind vom Wandern müde.

Tragen schwer des Kreuzes Last.

Wo ist noch Ruh´ und Friede?

Sei der Pilgerschaft zur Seit´,

daß wir recht geh´n allezeit,

O Maria!

Du Maria gib uns Rast,

wir sind vom Krieg verwundet.

Angst und Trauer uns erfaßt

ob Leib und Seel´ gesundet.

Send herab der Engel Heer

deinem Volk zu Schutz und Wehr.

O Maria!

Du Maria, gib uns Rast,

wenn einst wir sollen scheiden.

Nimm die Seele auf als Gast

Empor in Himmels Freuden.

Ew´ge Rast in Jesu Reich,

dorthin führ´ uns allzugleich.

O Maria!

Zermürbend war für die KZ-Häftlinge vor allem die scheinbare Endlosigkeit der Haft. Jeder Zuchthäusler weiß, wie lange er "einsitzen" muß und kann Tag für Tag abstreichen, bis die Entlassung greifbar ist. Den KZ-Häftlingen wurde gesagt - bis zum Endsieg - aber auf den Endsieg Hitlers konnten sie ja wohl nicht hoffen. Lenz schreibt: "Wohl hatte es einen Reiz, für Christi Reich in Kerker und Not zu wandern, doch dieser Anfangsreiz war bald erstickt im grauen Alltagsjammer ... ohne Freiheit, ohne Recht, ohne Würde, ohne Namen, nur noch eine Nummer sein, ohne Aussicht auf ein absehbares Ende der Haft, das war zermürbend."

Anfangs hoffen die Häftlinge alle noch auf eine baldige Befreiung, aber die immer wieder betrogene Hoffnung auf eine Befreiung auf absehbare Zeit in diese Welt hinein erlischt nach und nach und wandelt sich in die Hoffnung auf die Befreiung in die Welt der ewigen Freude.

Pater Gregor, der sich in der unvorstellbaren Enge des Lagers "wie ein verschütteter Bergmann" fühlt scheint im Advent 1944 in eine tiefe Kriese geraten zu sein:

Advent

Herrgott, mit all unseren Nerven

wir schreien in diesem Advent:

Zerschlage die Mauern und Drähte,

der Fesselung mache ein End´,

den Tag der Freiheit uns send´!

Wann hörst Du unsre Gebete?

Kind Gottes, ist das alles?

Warum verlangst du nicht mehr?

Die eine Fessel wird fallen! -

Doch bleibt alles irdische Wallen

Gefangenschaft, ernst und schwer.

Drum sehn dich nach göttlicher Freiheit

wie die Sterne so weit und rein,

in der einen göttlichen Dreiheit,

dort soll deine Freiheit sein.

Herrgott, es schrei´n Millionen

aus Kriegsnot in diesem Advent

aus Bergen von Leichen und Trümmern

sie heben die blutigen Händ´:

Den Frieden, den Frieden uns spend´!

Wann hörst Du das Stöhnen und Wimmern?

Kind Gottes, ist das alles?

Warum verlangst du nicht mehr?

Bald enden des Weltkriegs Schlachten! -

Doch bleibt alles irdische Trachten

ein Kampf - ohne Kugel und Speer.

Drum sehn´ dich nach göttlichem Frieden

nach Frieden, dereinst und hienieden,

wie es klang in der Heiligen Nacht.

Herrgott, so ferne der Heimat,

wir denken in diesem Advent

an der Heimat traute Gefilde

wo der Bruder, die Schwester uns kennt

Zur Heimat entlasse uns milde!

Kind Gottes, ist das alles?

Warum verlangst du nicht mehr?

Dein Heimathaus stürzte in Scherben,

auf Erden kannst wenig du erben,

die Kisten und Kasten sind leer.

Doch baut ich aus Edelgesteinen

die Stadt des Himmels auf

Mit all deinem Sehnen und Meinen

nimm dorthin den heldischen Lauf!

Herrgott, noch ein kindliches Sehnen

uns plagt in diesem Advent.

Wir möchten an schneeweißen Tischen

wo Blume an Blume ständ´,

wo Speisen in Hülle man fänd´

uns laben an Wildbret und Fischen!

Kind Gottes, ist das alles?

Warum verlangst du nicht mehr?

Nahm nicht im Abendmahlssaale

dein Herr die funkelnde Schale

zur letzten irdischen Zehr,

bis daß wir zusammen uns setzten,

wo einzig der Hunger gestillt,

am Weihnachtstisch ewig uns letzten. -

Dort wird dein Adventswunsch erfüllt.

10.12.`44

Es mag uns heute seltsam anmute, daß Pater Gregor der Bitte um Freiheit, um Frieden, um Entlassung in die Heimat die Bitte um ein festliches Mahl an weißgedeckten, blumengeschmückten Tischen folgen läßt. Aber wer jemals wirklich Hunger gelitten hat, wer jemals "aus dem Blechnapf fraß" der weiß, daß in solch einer Situation ein köstliches Mahl an festlicher Tafel wie eine Fata morgana vor dem inneren Auge erscheinen kann.

Mahlzeiten waren auch früher für Pater Gregor mehr gewesen als ein "Lecker-Essen". Sie waren für ihn ein "die Fülle des Lebens in Dankbarkeit genießen". Immer schon konnte er alle, die mit ihm um den Tisch saßen, anstecken mit seiner herzlichen Freude an den guten Gaben Gottes. Nicht umsonst verweist die innere Gegenstimme in dem Gedicht auf das himmlische Gastmahl, wo "einzig der Hunger gestillt" wird. Auch nach seiner KZ-Zeit bleibt für Pater Gregor jede herzliche Einladung ein Willkommensgruß Gottes. Das zeigt eines seiner westfälischen Liedchen, in welchem er das Thema "Gastmahl" aufgreift.

Ein anderes Gedicht zeigt deutlich, wie sich Pater Gregors Inneres sträubt, alles Sehnen und Meinen nur noch auf ein jenseitiges Glück zu richten. Er bietet seinem Gewissen sozusagen einen Kompromiß an: Wenn ich erst einmal frei sein werde, dann werde ich vor Tugend nur so strahlen, werde ein Leben führen, das dem Leben des Heilands gleicht:

Später

I)

Später, wenn die Ketten

dieser apokalyptischen Zeit

sind gefallen und die Welt von neuem

sich der Freiheit und des Friedens freut,

wird die Tugend blühen,

blüh´n bei meinem Ich, das mir gehört.

Ich werd´ dann nach aller Tugend streben,

weil dann nichts mehr meinen guten Willen stört.

Aber sein Gewissen bleibt unerbittlich: jetzt ist kostbare Zeit, wenn du dem Angebot der Liebe Gottes antworten willst, kannst du es nur hier und heute tun.

Im Juni 1944 hatte Pater Gregor einem Gedicht mit dem Titel "Wo wir wachsen" den Schluß gegeben: "Aber suche nicht immer den Platz auf der Erde zu wechseln, hier, wo du heute stehst, lebe dein Leben mit Mut!"

Was aber, wenn der Mut am Ende seiner Kraft ist? Pater Gregor scheint im Advent 1944 mit seinem Mut am Ende zu sein. Das zeigen Kapitel II und III des Adventgedichtes:

II)

Daß die alten Zeiten,

voll, behäbig, gemütlich und satt,

wären vorbei, für Jahrzehnte vorüber,

solches zu denken bin ich zu matt.

Apokalyptische Dramen

immerzu heldisch erleben ich sollt?

Ach mein Ich hatte nie solche Wünsche,

hat nur ein biederes Dasein gewollt!

III)

Freilich wird erscheinen

schneller als man meistens denkt

jener Tag, da alles Heute

ist im Meere der Vergangenheit versenkt.

Dann erkennen wir, wie Gottes Liebe

wollte diese Zeit zu unserm Glück

wollte dieser Zeiten Feuersgluten

um zu läutern unsrer Seelen Gold,

wollte dieser Zeiten Sturmesbrausen,

weil der Fruchtbaum unsrer Werke wachsen sollt´;

wollte diese Armut, Not und Enge

um uns innerlich zu lösen von der Welt

loszulösen, abzuziehn von allem,

was vergänglich ist und schnell zerfällt.

... Ich hab´s nicht verstanden!

Kostbarste, herrlichste Zeit verstrich.

Apokalyptische Reiter

rasten vorüber an meinem Ich.

Apokalyptische Engel

riefen zur Tugend mich auf,

doch mein kleiner, banger, blinder `guter ´ Wille

wollt in jenen Tagen nicht so hoch hinauf.

Kyrie eleison!

Dem geistigen Hochflug (I) folgt ein Fluchtversuch in vergangene "satte" Tage (II), dem Fluchtversuch folgt das Verzagen, die Enttäuschung über den eigenen Kleinmut, die Erkenntnis, der kleine "gute" Wille hält Zeiten der Apokalypse nicht stand. Das verstörte Ich, das sich nicht mehr auf sich selbst verlassen kann, stürzt sich in das Erbarmen Gottes: Kyrie eleison!

Epiphanie

Maßlose Sehnsucht

zum Schöpfer gewendet,

Ihn zu umfassen,

Ihn zu erblicken,

brennt in den Seelen.

Doch hier auf Erden

bleiben die Fesseln

irdischer Schwere

quälender Kurzsicht,

kraftlosen Mühens.

Darum erscheinst Du,

himmlischer König

erdwärts erniedrigt

huldvoll im Kleide

menschlichen Wandels.

Wirst unser Bruder

Hirte und Lehrer,

gibst Dich zur Speise,

blutest am Kreuze,

feierst Dein Ostern.

Läßt durch die Taufe

zu Dir uns erstehen,

gibst an der Gottheit

uns herrlichen Anteil,

lebst in den Seelen.

Wandelst die Kirche

kämpfender Menschen

einst in die Klarheit

ewigen Glückes

in Göttlicher Schau.

5.1.`45
 
 

Bei dem "ich hab es nicht verstanden!" ist das Ich nicht stehengeblieben. Es sucht nach Antwort und der Glaube schenkt ihm eine große Vision:

Geburt

Die ganze Menschheit

in schmerzhaften Wehen,

in schreienden Wehen

durch furchtbare Jahre

zu neuer Geburt -

Allmächtiger Vater,

Du forderst zu schauen

im Antlitz der Menschen

das Bild Deines Sohnes

weil Er unser Haupt.

Christus das Haupt

und christlich die Menschheit

der Letzte durchdrungen

von Glaube und Liebe.

O Gnadengeburt.

7.1.`45
 
 

Ich möchte jetzt nacheinander drei Gedichte folgen lassen, so wie Pater Gregor sie am 8. und 9. Januar und dann nur Januar datiert, nacheinander schrieb.
 
 

Der Leichenwagen

Ein Wagen voll Leichen,

Leichen von Menschen,

Menschen die dachten,

Menschen die liebten,

bewegt sich vorüber.

Das heißt jetzt Leiche

was für die Seele

bisher gewesen

Wohnung und Werkzeug,

Lasttier und Leiter.

O Leib, wie warst du?

Dumpfige Wohnung?

Schartiges Werkzeug?

Störrisches Lasttier?

Niedrige Leiter?

Dank dir, o Leib, wenn

lichthell die Wohnung,

heilig das Werkzeug,

hurtig das Lasttier,

sternwärts die Leiter!

Ein Wagen voll Leichen

bewegt sich vorüber -

so am Karfreitag

trug man zur Ruhe

den heiligsten Leichnam.

Aber an Ostern

erstand von den Toten

das ewige Leben. -

Ostern nun segne

den Wagen voll Leichen!

8.1.`45
 
 
 
 

Abt Silvester

Wenn der Anblick wieviel größer

einer Leiche wär´ dein Schauern,

dich hinaustrieb sähst du heute

in die Klause auf der Erde

um das Leben diese Haufen

Gott zu weihen von Entseelten!

und dem Ew´gen - O Silvester!

9.1.`45
 
 
 
 

Schneelast

Ich trage die Last des Schnees nicht mehr,

die winterlich glänzende, schöne.

Ich hör das Geächz und Gestöhne

der anderen Fichten rings um mich her.

Welch bang verängstigte Töne!

Ach hätten wir tiefer gewurzelt im Grund,

daß niemand zu Boden uns ränge.

Was nützt uns die ragende Länge?

Was nützt uns des Dichters lobpreisender Mund?

Den Tod verscheucht kein Gepränge!

O weh! Zur Rechten mir wankt die Gestalt.

Ein Riese stürzt nieder mit Krachen.

Der Tod heult mit offenem Rachen.

O Sonne, o komm! - Nur wenn sie erstrahlt

kann uns Hoffnung auf Leben erwachen!

Jan. `45
 
 

Am 19.1.1945 bricht Pater Gregor körperlich zusammen; er wird krank. Es muß eine ernsthafte Krankheit gewesen sein, denn in seinem Bericht von Sept. 1948, als er nach Beuron ans Sterbelager seines Abtes Raphael eilte, heißt es: "Indem ich ans Bett V. Abt Raphaels trete, sage ich: ` Hochwürdiger Vater, darf ich ihnen von meinen Dachauer Gedichten eins vorlesen, eins, das ich verfaßte, als ich bestimmt mit dem Tod rechnete ? ´ "

Krank

Mein Körper, du willst nicht mehr?

Willst plötzlich den Dienst versagen?

Was lähmst du mir Herz und Hirn,

willst nicht nach Hause mich tragen?

Ich sauge die frischklare Luft,

die Lunge mit Leben zu füllen.

Jetzt auf! und trage mich heim,

noch einmal erfüll´ meinen Willen!

Und gilt es ... , so sag es mir an,

wir wollen in Frieden uns trennen

und wollen den Obersten Herrn

im Tod wie im Leben bekennen.

Dann schlafe, dem Samenkorn gleich,

im heiligen Schoße der Erde,

bis herrlich am Morgen der Welt

die neue Vereinigung werde.

19.1.`45
 
 
 
 

Kapitel XVII:

Wenn du nur endlich kommst, o Glück, wenn´s auch verspätet wäre!

Nach Pater Gregors Genesung ist von seelischer Krise in seinen Gedichten nichts mehr zu spüren. Oft verwendet er das Symbol Knospe, aber jetzt nicht mehr für Eingeengtsein, sondern als Zeichen für Schutz gegen Kälte und Schaden von außen. Er denkt viel an den Tod, aber ohne allen Schrecken. Der Tod ist Beginn eines sehnsüchtig erwarteten neuen, strahlenden Lebens, der Tod ist Entlassung aus der Enge, aus der Haft in die ewige Freiheit.

Winterknospen

Winterliche Knospenhüllen

bergen zarte Frühlingskeime,

bergen Blätter, Blütenpracht,

bergen ungeahnte Träume;

hüllen ein die Lebenstriebe

wie in Türmen, Kuppeln, Hütten,

wie in Panzer und in Stahl,

daß sie keinen Schaden litten;

hüllen sie in warme Mäntel,

haarig, wollig, fest gewoben,

hüllen sie in Lack und Harz;

jeder Sturm darf sie erproben.

Winterschönheit, kaum zu sehen,

Formenfülle, alles kündet

wie sich große Schöpfungskraft

in dem kleinsten Wesen findet.

Jan. `45
 
 

Knospensymbol

Zeit unseres Lebens

sind wir umschlossen

sind wir gesammelt

eng im Finstern

wie in der Knospe.

Aber wir streben

sehnsüchtig drängend

daß sich die Sonne unser erbarme,

sprenge die Hülle.

Öffne dich, Knospe!

O welch ein Leben

wird sich erheben

aufwärts zum Schöpfer!

Jan. - Febr. `45
 
 
 
 
 
 

Zum Aufbruch bereit

Knospenhaft seid ihr schon da,

Frühling und Sommer, ihr Lieben.

Kletternde Ranke und wogender Zweig,

duftige Blüte und schattiges Blatt

warten in winziger Knospe,

täglich zum Aufbruch bereit!

Knospenhaft ist es schon da,

was wir im Geiste ersehnen:

Leben in Seligkeit, Wonne und Glück

Gottesanschauung mit trunkenem Blick.

Fülle dich, fülle dich Knospe,

halt dich zum Aufbruch bereit!

Jan./Febr. `45
 
 
 
 

Die vermeintliche Nähe des Todes - für Häftlinge nach langer vergeblicher Hoffnung auf Entlassung, die letzte Chance der Befreiung - läßt in Pater Gregor noch einmal freudigen Trotz gegenüber der Schikane erwachen:

Herr Winter

Schauen Sie, Herr Winter, diese Knospen an,

all die unzählbaren rings auf Strauch und Bäumen!

Keine einz´ge wird von Ihnen aufgetan,

stecken Sie es ruhig auf, davon zu träumen!

Holen Sie den schwersten Schnee, das schärfste Eis,

holen Sie die Kälte, daß die Augen weinen,

peitschen Sie mit Hagelsturm den Erdenkreis!

Härter engen sich die Knospen, gleich den Steinen.

Frühling kommt mit Wärme und mit Sonnenschein,

lachet hellen Auges und mit frohen Sinnen;

völlig umgewandelt fühlt sich Groß und Klein,

und mit Blatt und Blüten auf die Knospen springen!

Febr. - März `45
 
 

Von den Dachau-Gedichten möchte ich zuletzt zwei Christrosen-Gedichte zitieren. Im ersten, im Dezember geschrieben, wechseln Hoffnung und Zweifel. Im zweiten erreicht die drängende Sehnsucht - in allen anderen Blumengedichten schon zu spüren - ihren Höhepunkt:

Lieblingsbeet

Im großen Garten, leer und öd´,

der scheinbar abgestorben,

hab ich im Geist erworben

ein winterliches Lieblingsbeet,

wo kein Gewächs verdorben.

Ganz eng dem Boden angeschmiegt,

geduckt nach allen Seiten,

sich grüne Blätter breiten,

darin manch´ feine Knospe liegt,

will blüh´n zu Winterzeiten.

Will blüh´n zum heil´gen Weihnachtstag,

verzichtet auf den Maien.

Mag´s stürmen, frieren, schneien,

daß selbst der Eichbaum knirscht sein Ach,

Christrose will gedeihen.

Dezember ist gekommen schon

mit Tagen trüb´ und grauen.

Darf ich den Knospen trauen?

Möcht´ einmal deine Blumenkron´,

Christrose, staunend schauen !

Dez. `44
 
 

Christrose blüht

Christrose lang erwartet war.

Weihnachten ist vergangen -

Endlich die Blüten prangen

- am letzten Tag im Februar -

wie mit verklärten Wangen.

So spät, so spät! Und doch hab´ Dank,

daß du uns schenkst dein Blühen!

Aus Winters Leid und Mühen

dein Lebenstrieb die Kräfte trank,

zum Licht hinaufzuziehen. -

Wenn du nur endlich kommst, o Glück,

wenn´s auch verspätet wäre!

Komm aus dem Leidensmeere,

falls Gott so fügte das Geschick.

Zum Ende uns verkläre!

März 1945
 
 

Vom 27. März bis 11. April, kurz bevor die Amerikaner einrückten, wurden plötzlich 173 Priester aus der Haft entlassen, darunter in der dritten Entlaß-Gruppe, am 10. April Pater Gregor!
 
 
 
 

Kapitel XVIII:

"Ich habe für Dich und Karl Kleider und Wäsche, die Ihr leicht umändern lassen könnt..."

Nach seiner Entlassung aus dem KZ wurde Pater Gregor zunächst für ein paar Wochen in die Schweiz gebracht, wo er wieder "aufgepäppelt" wurde. Er schreibt am 19.12.`45: "Um die Schmach von Dachau zu ersetzen, haben die guten Schweizer mich mit Liebe geradezu überschüttet - von Basel bis Locarno, von St.Gallen bis Genf! ..."

Sofort war er bemüht, seine Brüder und ihre Familien an den Schweizer Wohltaten teilhaben zu lassen. Er schreibt: "Am Schluß meines Schweizer Aufenthaltes habe ich folgenden Weg eingeschlagen, um Euch ein greifbares Lebenszeichen zu senden: Man kann in der Schweiz auf den Reisebüros 48 frcs einzahlen, wofür ein dänisches Lebensmittelpaket gekauft wird. Das wird von Dänemark aus an die angegebene deutsche Adresse gesandt. Da ich nur Gertruds Adresse bestimmt wußte, habe ich ihre Mettinger Adresse angegeben, aber mit den Namen Bernd und Karl dazu. Es wäre reizvoll, wenn diese Verbindung mit Euch über Schweiz und Dänemark in gewünschter Weise gelingen würde ... Ich habe für Dich und Karl Kleider und Wäsche, die Ihr leicht umändern lassen könnt ..."

Die drei Brüder Schwake hatten sich untereinander und mit ihren beiden Schwestern immer gut verstanden. Nachdem sie im Krieg so viel Sorge umeinander, miteinander und füreinander getragen hatten, nachdem 1943 ihre jüngste Schwester Maria und 1949 die Schwester Gertrud gestorben waren, rückten die drei Brüder geistig enger denn je zusammen. Sie schrieben sich herzliche Briefe, teilten miteinander, obwohl räumlich getrennt, Freud und Leid und trafen sich in Emmerich, Ennigerloh oder Gerleve, so oft das möglich war.

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Ein äußeres Zeichen der Liebe, welche Theodor und Bernd verband, ist das gemeinsam verfaßte "Vader onser". Mein Vater schrieb den Text in Emmereks Platt , Pater Gregor schrieb die Melodie dazu und sandte meinem Vater die handgeschriebenen Noten mit der Widmung:

"Möge dieses Lied Kindern und Kindeskindern der Familie Bernd Schwake und der Niederrheinischen Heimat Segen bringen!"

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Genauso liebevoll nimmt sich Pater Gregor der profanen Gedichtchen an, die mein Vater zu den verschiedensten Anlässen verfaßte und seinem Bruder zur Korrektur zusandte. Als Beispiel füge ich die Korrektur zu dem Gedicht "150 Jahre Societät" bei. Zuerst kommt eine Ermutigung: Schweres und undankbares Thema. Darum gratuliere ich zu einer solchen Fülle von Strophen." Erst dann erfolgt die Kritik.

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Kapitel XIX:
 
 

Beladet mich, wie ihr es wollt! Mein Name strahlet hell wie Gold: Fiat Voluntas!

Seit 1948 war Pater Gregor wieder voll mit der Volkschoralarbeit beschäftigt gewesen. Es war ihm vergönnt, mit dieser Arbeit noch riesige Erfolge zu erleben, davon berichteten frühere Kapitel. Er war noch mitten im Arbeitseifer, als die Aufgabe, der er so viel Kraft und Liebe gewidmet hatte, ziemlich abrupt zu Ende ging:

"Durch das II.Vatikanische Konzil (1959-1965) fand sein unermüdliches Wirken für die Verbreitung des Volkschorals sowohl seine Erfüllung, als auch ein jähes Ende: seine Erfüllung indem die aktive Beteiligung des Volkes an der Liturgie nunmehr ein gesamtkirchliches Anliegen wurde, ein jähes Ende, indem die begeisterte Hinwendung zur Muttersprache in der Liturgie dem Volkschoral einstweilen keinen hinreichenden Lebensraum mehr ließ."

Meine Meinung ist, daß das Interesse am Volkschoral eines Tages wiedererwachen wird, wenn die vielen Völker Europas mit ihren verschiedenen Sprachen und Dialekten, die schon jetzt immer enger zusammenrücken müssen, sich auch in Zukunft in der Kirche gemeinsam "zuhause" fühlen sollen.

Dreimal durfte ich die verbindende Kraft des Volkschorals nach dem Konzil besonders beeindruckend erleben:

Zuerst 1976 in Lourdes, wo in der riesigen unterirdischen Pius-Kathedrale, die bis auf den letzten Platz besetzt war von gesunden und kranken Menschen aus ganz Europa, das "Gloria", das "Credo", das "Benedictus" und das "Agnus dei" wie aus einem Mund gesungen wurde.

Dann im Dez. 1987 in Morogoro, einem kleinen Ort mitten in Tansania, wo wir - die Familie meines Sohnes Johannes und ich - sonntags in einem Konvent nur einheimischer Schwestern an der heiligen Messe teilnahmen: eine sehr große Hallenkirche ganz gefüllt mit meist sehr jungen schwarz-afrikanischen Ordensschwestern. Diese sangen schönsten benediktinischen Choral - und wir sangen mit, auch ich, die ich in der Landessprache Swahili noch kaum ein paar Höflichkeitsfloskeln beherrschte. Ich fühlte mich zuhause, mitten in Afrika!

Zum drittenmal jetzt im Dezember 1991 in Dresden in der Hofkirche, die auch bis zum letzten Platz gefüllt war. Da ein polnischer Bischof zelebrierte, wurde Volkschoral gesungen. Alle sangen mit! -

Es ist zwar schön, daß die Muttersprache Einzug genommen hat in die hl.Messe, aber das Erlebnis der "Una Sancta" schenkte jedesmal der Volkschoral, und jedesmal dachte ich: "Wie würde Pater Gregor sich jetzt freuen!"

Die Totenchronik schreibt zwar: "Doch ist in Pater Gregor wegen dieser Entwicklung nichts zerbrochen." Das stimmt, aber schmerzlich war sie für ihn doch. Was ihn vor Resignation schützte und ihn für eine neue Aufgabe frei machte war sein gläubiges "Fiat Voluntas!" "Beladet mich, wie ihr es wollt!..." (s.o.)

Der neue Abt, Pius Buddenborg, der Nachfolger Abt Raphaels, war für Pater Gregor nicht nur ein verständnisvoller "Vater", sondern darüber hinaus ein Freund. Unter ihm fand er noch einmal eine ganz neue Aufgabe in der Pflege und Förderung der niederdeutschen Mundart in Lied, Spiel und Dichtung.

Da er von seinen Eltern noch das Münsterländische im Ohr hatte und seit seinem Eintritt in das Benediktinerkloster im münsterländischen Gerleve seine neue Heimat gefunden hatte, wählte er das Münsterländische Platt und nicht, wie sein Bruder Bernd das Emmerekse Platt für seine Verse und Lieder.

Schon 1948 hatte Pater Gregor die Spielschar "Schule und Nachbarschaft Gerleve" gegründet, die seine plattdeutschen Theaterstücke - insgesamt sind es siebzehn - mit großem Erfolg aufführte, zum Beispiel "Anntrinken Emmerik", "Liudger, Biskop van Mönster" und "Dat Weihnachtsspiel van´n Friäden". "Der Rundfunk brachte einige Male Hörspiele von P.Gregor. Weihnachten 1967, also bereits ein halbes Jahr nach seinem Tod, wurde das schon früher dargebotene Hörspiel `Der gestohlene Pastor´, zu dem P.Gregor an der Gerlever Orgel den musikalischen Beitrag geleistet hatte (gesendet) ... (seine plattdeutschen Theaterstücke) hatten anerkannterweise einen beachtlichen schulpädagogischen Wert."

Seine Mundartlieder wurden vom Westfälischen Heimatbund und von der Westfälischen Schule für Musik herausgegeben. Sie erschienen zum Teil im Verlag Aschendorff in Münster. Ebenso das kleine Büchlein "Dat Kiärkenjaohr bi´n kranken Mensken ´, das er 1951 während eines langen Krankenlagers schrieb.

Von den Mundartliedern stehen schon eine ganze Reihe im vorangehenden Text verteilt, aus dem `Kiärkenjaohr ´ sollen hier noch drei Beispiele folgen:

Adventstied

Wat kümp, wat kümp, wat stieht us vüör,

mäck fröchten us un huoppen?

För dat, wat kümp, slütt us Advent

de frommen Augen uoppen.

Wie gaoht up Wienacht to, un dann

gieht wieder use Straote

van Fest to Fest, bes dat wi kuemt

vüör Guottes hillige Paote.

Wat kümp dann, Här? Mi is so bang.

Du kümms, Gericht to haollen.

O ja, Du kümms! För jedereen! ...

Ick mott de Hänne follen.
 
 

Adventszeit

Was kommt, was kommt, was steht bevor,

macht fürchten uns und hoffen?

Für das, was kommt, schließt uns Advent

die frommen Augen offen.

Wir geh´n auf Weihnacht zu und dann

wird´s immer weiter gehen

von Fest zu Fest, bis daß wir einst

vor Gottes Pforte stehen.

Was kommt dann, Herr? Mir ist so bang.

Du kommst, Gericht zu halten.

Für jeden von uns kommst Du Herr! ...

Ich muß die Hände falten.
 
 

Sunndag Gaudete

"Du saßt di frein" fäng an de Miß,

Epistel segg dat Glieke. -

Dat Mißbok is mi faots to Hand,

dat Bok, dat üöverrieke.

O Här, ick sin vull Truer un Leed;

de annern seih´ck bestreien

met Rausen sick den Liäbenspatt -

wie kann ick mi dann freien?

Du saß die frein, wieldat de Här

met Paradiesesfreiden

is dicht bi di. O glaif et män!

Denk nich so äs de Heiden!"
 
 

Sonntag Gaudete

Du sollst dich freu´n, fängt an die Meß´,

Epistel sagt das Gleiche.-

Das Meßbuch ist mir gleich zur Hand,

das Buch, das überreiche.

O Herr, ich bin voll Schmerz und Leid

ich sehe andre streuen

sich Rosen auf den Lebenspfad. -

Wie kann ich mich denn freuen?

Du sollst dich freuen, weil der Herr

mit Pradiesesfreuden

ist dir ganz nah. O glaub´ es nur!

Denk nicht so wie die Heiden!
 
 

De Tungen van Füer

De Pinkstefarw is füerraut,

de Pinkstesiäll mott glaihen.

In Pinkstefüer kamm de Geist,

Sien Gnaden uttostreien.

Wenn van de Füertungen doch

män eene sick wull senken

up mi! Wu hillig möß dann sien

mien Spriäken un min Denken.

Wu siägensvull för Guottes Riek

wöär dann mien stusttrig Biädden!

O Hillige Geist, ick bidde Di,

Du wuß mi nich vergiätten.
 
 

Die Feuerzungen

Die Pfingstfestfarb´ ist feuerrot,

die Pfingstfestseel´ muß glühen.

In Pfingstesfeuer kam der Geist

ließ Gnadenfeuer sprühen.

Wenn von den Feuerzungen doch

nur eine sich wollt senken

auf mich! Wie heilig müßt dann sein

mein Sprechen und mein Denken!

Wie segensvoll für Gottes Reich

wär´ dann mein stammelnd Flehen.

O Heiliger Geist, ich bitte Dich,

wollst mich nicht übergehen!
 
 

"Für die Verdienste, die er sich um die Erhaltung, Förderung und Festigung des niederdeutschen Sprachguts erworben habe" erhielt Pater Gregor am 20. Sept. 1965 den Rottendorff-Preis. Dieser Preis in Höhe von 3000 DM ist der Förderung der niederdeutschen Kultur gewidmet. Die Laudatio hielt der Universitätsprofessor Dr. Anton Hilckmann (Mainz), ein gebürtiger Münsterländer, in westfälischer Mundart.

Am Vorabend zu seiner goldenen Profeß (am 8. Sept. 1962) wurde Pater Gregor vom Regierungspräsidenten Dr. Schneeberger das Verdienstkreuz erster Klasse des Bundesverdienstkreuzes überreicht. "Diese Anerkennung gelte dem Manne, der den Gottesdienst landauf, landab neu und feierlich gestaltet habe, gelte den Bemühungen um die Sprache, besonders um die heimatliche Sprache des Plattdeutschen, die er eigenschöpferisch tätig mit dem Liede verbunden habe ... Es sei das Singen , durch das Pater Schwake die Menschen froh gemacht habe ..."

Unser Sohn Martin Pickers durfte am Tage der goldenen Profeß seinem Großonkel den Altersstab halten, nachdem dieser im festlichen Hochamt von Abt Pius Buddenborg nach der Regel des hl. Benedikt geweiht worden war.

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"Der Altenstab, aus einer münsterländischen Nußbaumhecke geschnitten, trägt eingeschnitzt die Kirche von Gerleve, das Monogramm Pater Gregors und die Worte: `Här, laot den Wegg us gaohn in´t himmlike Telt."
 
 
 
 
 
 
 
 

Kapitel XX:

In kranke un gesunne Dag

Dien Riek sall tu os kuemen.

Un wenn wie doht den lesten Söcht

Dien Riek sall tu us kuemen ...

Fünf Jahre durfte Pater Gregor den Weg "int himmlische Telt" noch gehen. Dann endete - schneller als von allen erwartet -, sein Leben, ein Leben, in welchem die Vokabel "Selbstverwirklichung" gar nicht vorkam, das aber dennoch alle Gaben, die ihm mitgegeben worden waren, voll ausgeschöpft hatte: zu seiner eigenen Freude, zur Freude seiner Mitmenschen und zur Ehre Gottes.

Die Chronik berichtet: "Als unser ältester Mitbruder P.Gregor Schwake an seinem letzten Namenstag, dem 12. März 1967 in der Reihe der Konzelebranten unser Konventamt mitfeierte bot er den Anblick eines strahlenden, geradezu jugendfrischen Mannes. An seiner Hünengestalt .. war nichts Sieches oder Gebeugtes wahrzunehmen ... Wohl hatte er in den vorausgegangenen Monaten häufiger eine große Müdigkeit verspürt und sie als `nicht normal ´ bezeichnet ... Jetzt aber schien alle Mattigkeit wie abgeschüttelt zu sein ... Einen Monat später, an seinem 75. Geburtstag am 15. April, konnte Pater Gregor sogar als Hauptzelebrant das Konventamt singen. Er tat es in seiner von früher her gewohnten kräftigen und zügigen Weise, so daß wir ihn ehrlich bewunderten und uns mit ihm zusammen der berechtigten Hoffnung hingaben, er werde wohl auch am nah bevorstehenden Tag seines goldenen Priesterjubiläums, dem 25. Juli, Fest des hl. Jakobus , das Hochamt in unserer Mitte als Celebrans principalis feiern können."

Dazu schreibt Pater Gregor selber in einem Brief vom 18.12.`66 an die Basler Künstlerin Isabella Siedler - sie und ihr inzwischen verstorbener Mann gehörten zu den Schweizern, die Pater Gregor nach seiner KZ-Haft so rührend betreuten, ihr 60. Geburtstag stand im März 1967 bevor - :

"Ein merkwürdiges Jahr steht vor uns: 1967. Auf dem neuen Wandkalender ... habe ich die Zahl 30 im März umringt und dazu geschrieben `Isa 60´. Um die Zahl 15 im April habe ich einen zweiten Kreis gelegt und dazu geschrieben `75´. Im Juli habe ich den 25. umringt, den St. Jakobstag und eine 50 dahintergeschrieben. So kann man nur demütig beten, daß der allgütige Vater im Himmel es zu einem Gnadenjahr erster Klasse erheben wird.

In diesem Sinne sende ich Dir aus der stillen Arbeits- und Gebetszelle und aus dem Chor und vom Altare her die allerherzlichsten Glück- und Segenswünsche zu einem von Gnade und Licht und Dank erfüllten Weihnachtsfest auch heute schon für das kommende Jubeljahr 1967, das in Wahrheit ein Jahr himmlischen Glückes werden möge."

Für ihn ging dieser Wunsch wortwörtlich in Erfüllung. Im Juni befiel ihn ein Unwohlsein. Eine am 8. Juni im Krankenhaus Dülmen vorgenommene Operation zeigte einen katastrophalen Befund: Krebs mit schon weit verbreiteten Metastasen.

Pater Gregors jüngerer Bruder Karl konnte ihn mehrmals sowohl vor, als auch nach der Operation besuchen. Mein Bruder Heinz-Gregor brachte auch meinen Vater an sein Krankenlager. Vater war ganz erschüttert, weil sein todelend aussehender Bruder ihm strahlend sagte, er sei so dankbar, weil diese Krankheit ihn die Menschen in all ihrer Liebe, Güte und Hilfsbereitschaft erfahren lasse. Auch die Totenchronik berichtet: " Er war sehr geduldig ... Seit der Operation fuhr unser Infirmar P.Bernhard jeden Abend nach Dülmen, um nachts bei ihm zu sein. Auch Vater Abt besuchte ihn trotz der im Dekanat Coesfeld zu erteilenden Firmungen täglich. P.Gregor war über die ihm von allen Seiten erwiesene Aufmerksamkeit und Liebe sehr glücklich und bekundete immer wieder seine dankbare Freude darüber."

Trotzdem mußte er die ganze kreatürliche Angst vor dem Sterben durchstehen. In einem Brief an meinen Vater vom 10. Juli 1968 schreibt Frau Siedler, sie habe Pater Gregor am 6. Juni 1967 vor seiner Operation angerufen. Auf ihre Frage, wie es ihm gehe habe er geantwortet: "Es ist alles aus!" und am nächsten Tag auf die Frage : "Wie geht es?" P.Gregor: "schlecht!" ... man sollte die Ärzte dazu bringen, daß sie mit der Sprache herausrücken ..." Am 8. Juni wurde er operiert. Vor der Operation empfing Pater Gregor mit großer Andacht dei Krankensalbung. "In den Morgenstunden des 13. Juni, dienstags gegen 6 Uhr befiel unseren Mitbruder plötzlich eine Embolie. In wenigen Minuten war sein Leben erloschen." schreibt die Totenchronik.

Die Kirchenzeitung für das Bistum Münster schrieb: "Meine Berufung ist, andere Menschen froh zu machen

Sechs Wochen vor seinem Goldenen Priesterjubiläum starb P.Dr. Gregor Schwake OSB von der Abtei St. Joseph - Gerleve.

Die Osterkerze brannte am Sarg des am 13. Juni heimgegangenen Benediktinerpaters Gregor Schwake, wie es in der Abtei Gerleve üblich geworden ist. Bei Pater Gregor erinnerte sie in besonderer Weise an dessen Taufe zu Ostern 1892. Und sie rief die dankbare Erinnerung an einen wahrhaft "österlichen Menschen" wach, der in seinen 75 Lebensjahren bis zum letzten Tag immer nur und immer wieder Freude machen und Freude bringen wollte. Bis in die letzten Stunden zeigte er seinen unüberwindlichen Humor und seine herzliche und gütige Dankbarkeit für alles. In der kurzen Zeit seiner Todeskrankheit äußerte er einmal, wie schön es sei, krank zu sein, weil man von allen Seiten eine so unerhört große Liebe erfährt."

Sein "rascher" Tod paßte zu Pater Gregors Leben: Obwohl er immer mit beiden Beinen im Leben stand, mit all seinen Kräften darin wirkte, mit allen Sinnen das Schöne dieser Welt in sich aufnahm, mit ganzem Gemüte seine Eltern, seine Familie, seine Heimat, Kinder und Blumen, Musik und Sprache, und seine Ordensfamilie liebte, gab es für ihn im Grunde keine strenge Trennung zwischen dem Leben dieser und jener Welt. Die himmlische Welt war aufs engste mit seinem irdischen Leben verwoben.

Am 13. Mai 1958 schreibt er: "Jetzt, in der Stille der Klosterzelle fällt mir besonders auf, daß die Oration am Feste Christi Himmelfahrt nicht einfach bittet, es möge uns nach unserem Tode der Zutritt zum Himmel gestattet sein, sondern daß wir jetzt `mente in coelestibus habitumus´, d.h. mit unserem Sein, unserem Denken in himmlischen Bezirken wohnen ..."

Auch die ganz einfachen Dinge werden ihm zum Hinweis auf die andere Welt. So schreibt er in sein Tagebuch Ostersonntag 1966: "Beim Waschen Tauferneuerung. Höhensonne mahnte zum herrlichen `Lumen Christi ´."

Am 23.12.`64 schreibt er meiner Mutter, die ihm ein Weihnachtspäckchen geschickt hatte: " ...Es ist kaum zu sagen, welche Freude Dein Paket in dieser augenblicklich von Sonnenschein erfüllten Zelle erweckt. Alles so festlich eingepackt, daß es einem fast leid tut, das schöne Papier und die Bänder entfernen zu müssen. Was werden wir Augen machen, wenn uns bei Eröffnung des ewigen himmlischen Weihnachtsfestes dei einstweilen für uns geheimnisvollen Himmelsgaben ausgepackt werden. Wenn ich mir das vorstelle, wie es Eurem und unserem Karlbernd schon längst da droben ergangen ist! ..."

Wie oft schreibt er in früheren Briefen: "Mit meinem Leib kann ich nicht bei Euch sein ... aber im Geiste!" Er vertraut auf die alles verbindende Kraft des Heiligen Geistes.

Am 21. Mai `58 antwortet er vom Krankenlager aus auf eine Einladung zu einer größeren Reise: "Wer weiß, ob die Engel den Gregorius auf eine größere Reise lassen? Es hat gar keinen Zweck, heute schon darüber nachzuspinnen. Zuerst muß die Pfingstgnade, das Pfingstfeuer, das Pfingstglück in den großen Garten unserer Seele kommen. Ob der Körper dann hier oder dort in der herrlichen Schöpfung Gottes sein darf, ist nicht so wichtig,"

So wenig es für ihn eine absolute Trennung zwischen dieser und jener Welt gibt, so wenig kann der Tod Menschen, die sich nahe waren, absolut voneinander trennen. Er fühlt sich umgeben von seinen lieben Verstorbenen.

So schreibt er uns zur Hochzeit am 8.10.1951:

"Statt eines langen Gedichtes

Dem Leibe nach kann ich nicht bei Euch sein.

Bin umso mehr bei Euch mit meiner Seele.

Mich nennt man krank und andere nennt man tot.

Ob nicht die lieben Unvergeßlichen,

die uns am nächsten waren, von dort oben

mit ganzer Seele und mit aller Liebe

mit großem Segen Euch zur Seite sind?

Oh ja! Sie sind es. Und ein großer Kranz

von teuren Seelen nimmt Euch in die Arme.
 
 

Mit dieser Arbeit hoffe ich, Pater Gregor und einen "großen Kranz von teuren Seelen" in die Arme genommen zu haben.
 
 
 
 

Willkuemen

Ji säggt mi Willkuemen un lachet mi an

Wu freit dat en uraollen Wannersmann.

Ji säggt mi: Wi waodt all ne Tiedlang up di

Dat is ja so fröndlik. Dann sin ik so frie

Da kloppt mi dat Hiätt, un ick stell mi dat vüör:

Wenn so sick maol updöht de himmliske Düör.

Nu sitt wi in Gaoren an´n wittdeckten Disk

de Aollen un Jungen, lebennig un frisk.

De Sunne, de löcht´up Rabatten un Strük

up alle Gesichter. Wat mäk se us riek.

Dao is mi, äs lägg up de Taofel en Beld

en Beld van dat Gastmaohl in´t himmliske Telt.

Allwier säggt de Frönn´ mi en trühiättig Waot:

Dien Kämmerken buoben is lange all praot.

De lechthelle Kluse is ganz nao dien´Sinn.

Hier moß du di ressen, föhl wuoll di daodrin!

Ik kiek düör de Ruten: De Hiemel is raut.

Ganz wiet löcht en Hus, is ut Goldsteene baut.
 
 
 
 

Willkommen

Ihr sagt mir Willkommen und lachet mich an

wie freut das ´nen uralten Wandersmann.

Ihr sagt mir: wir warten schon lange auf dich.

Das ist ja so lieb, gern bedanke ich mich.

Da klopft mir das Herz und ich stelle mir vor:

wenn so sich mal auftut das himmlische Tor.

Wir sitzen im Garten am weißgedeckten Tisch

die Alten und Jungen, lebendig und frisch.

Die Sonne die leuchtet auf Beet und Gesträuch,

auf allen Gesichtern, wie macht sie uns reich.

Da ist mir als sei dieses Gastmahl ein Bild

ein Bild von dem Gastmahl in Himmelsgefild.

Der Freund sagt treuherzig zu späterer Zeit:

Dein Kämmerchen oben ist lang schon bereit,

die lichthelle Klause, ganz nach deinem Sinn.

Hier sollst du dich ausruh´n, fühl´ wohl dich darin!

Ich seh´aus dem Fenster, der Himmel erglüht.

Ein Haus leuchtet weit, wie aus Gold es aussieht.